Donnerstag, Juni 19, 2025

wimpernschlag.

Sechzehn Jahre. Mehr als fünftausendachtzig Tage. Eine halbe Ewigkeit und doch manchmal nur ein Wimpernschlag. Man lernt, mit dem Verlust zu leben, sagen sie. Als wäre das ein Skill, den man sich aneignet. Wie Fahrradfahren, Kochen oder Buchhaltung. Aber manche Tage lassen sich nicht sortieren. Da kommt er zurück, mit voller Wucht. Ein Geruch, ein Lied, ein Datum auf dem Kalender. Und schon steht er wieder im Raum, als wäre er nie gegangen.

Sie sitzt im Auto, irgendwo zwischen Spülmittel kaufen und dem Gedanken, wie alt er heute wäre. Der Radiosprecher sagt irgendwas Belangloses, doch sie hört es nicht. Ihr Herz ist beschäftigt. In sich zusammengesunken. Und obwohl sie unglaublich stark ist – so sagen es alle – fühlt sie sich plötzlich wieder klein. Leer. Zerbrechlich. Und unfassbar traurig. 

Es gibt ein davor und ein danach. Es war einer der Momente, in denen sich das Gehirn nicht bereit zeigt, zu begreifen, obwohl es keinerlei Interpretationsspielraum gibt. Tot ist tot, wie man es auch dreht und wendet. Dieser Satz hat sich eingebrannt. Damals, direkt nach dem Anruf. Seitdem trägt sie ihn wie ein Mantra, das keiner sein will. Der Schmerz ist nicht mehr laut, er schreit nicht mehr mitten in der Nacht. Er ist sehr leise geworden. Aber er sitzt da. In ihr. In den Rissen, durch die das Licht nur manchmal scheint. Sechzehn Jahre. Und immer noch dieses Gefühl, dass er fehlt. Und gleichzeitig ist er da. In allem, was sie geworden ist.

Mittwoch, Juni 18, 2025

flickzeug.

Die eigene Geschichte wiegt manchmal mehr, als man in der Gegenwart denkt. Das ganze Leben besteht aus vielen Geschichten, Vergangenheiten, Gegenwarten und Zukünften. Die eigene Geschichte ist wie das Hintertor der Seele, das Dich in einen großen, dunklen Raum bringt, in dem verschmutzt in kleinen alten Gefäßen, die Du vor langer Zeit wegstellt hast, Deine Erlebnisse und Erfahrungen ruhen, die Du mehr oder weniger sauber verstaut hast. Es gibt Gute und Schlechte. Manche sind nicht zuzuordnen. Das eine Gefäß war mal länger geöffnet als das andere. Doch richtig gemein sind die, bei denen die Gummierung oben am Rand nicht ganz dicht ist, so dass Du immer mal wieder in Deinem Leben daran drehen musst, damit sie fest verschlossen bleiben. Du hast an ihnen gerüttelt, hast Dir Flickzeug gekauft, um sie zu reparieren, aber ein klein wenig Rand ist immer kaputt. 

Und so passiert es, dass wenn die Gegenwart zu viele Aufgaben bereit hält, keine Zeit bleibt, Dich um die kaputten Gefäße zu kümmern, ihre Deckel nochmal nachzuziehen und dafür zu sorgen, dass sie das Glas gut verschließen. Dann kommen sie raus, die Erlebnisse, Erinnerungen und die Gefühle, die damit verbunden sind. Sie kommen durch die Hintertür in Deine Seele und in Dein Herz. Und es ist manchmal sehr schwer mit der eigenen Geschichte umzugehen. Viele Menschen sind gute Schauspieler, die sich und der Welt vorspielen, ihre Geschichte überstanden zu haben. Und so sehr man es sich wünscht, die Geschichte ruht nicht. Manchmal haben einen die Erlebnisse nicht nur geprägt, sondern sie haben sich in Deine Haut gebrannt und die allgemein bekannten, riesigen Wunden hinterlassen. Von Zeit zu Zeit vernarben sie, um dann unerwartet wieder aufzureißen und Zeit brauchen, um wieder einigermaßen zu verheilen.

Einige Probleme, die man hat, wurden nicht durch Personen ausgelöst, die man zunächst verantwortlich machte, sondern davon welche Gefühle sie auslösen und wie das eigene ich, das wahrhaftige, reine ungeschauspielerte Ich damit umgeht. Und wenn bei diesem Ich gerade zu viele Gefäße geöffnet sind, kann es Gegenwart und Vergangenheit, Personen und Gefühle und Erfahrungen nicht mehr voneinander trennen und landet immer wieder an dem gleichen Punkt: dass man alleine da steht und versucht, die Gefühle einzufangen und wieder zu verschließen und erkennt, dass man das nur alleine kann, niemand Schuld an der Misere hat und es nur darum geht, wie Du die Dinge für Dich regelst.

Schaff den Absprung. Spring weg von der Wunde. Öffne die Gläser und lege Deinen Blick auf Neues!

Donnerstag, Juni 12, 2025

sockenlos.

Heute Nacht von meiner Oma geträumt. So real. Sockenlos. 

Und vielleicht geht es im Leben manchmal genau darum: mitten im Suchen, Hetzen und Verlieren einen Moment zu finden, der bleibt. Eine feste Umarmung, die nicht neu ist, sondern zurückkommt, aus der Erinnerung, aus dem Gefühl, aus der Liebe, die geblieben ist. Und dann spürt man, für einen ganz kurzen Augenblick: Ich bin angekommen. Nicht weil alles gut ist. Sondern weil da etwas war – oder jemand –, das getragen hat. Und irgendwie immer noch trägt, obwohl dieser Mensch längst diese Welt verlassen hat. 

Was hatte das Bild mit den fehlenden Socken zu bedeuten?

Dienstag, Juni 10, 2025

vielleicht.

Vielleicht habe ich neulich eine Zahnbürste für jemanden gekauft. Und vielleicht hat er gefragt, ob er die hier lassen kann. 

Ich wäre nicht ich, wenn ich mich nicht noch regelmäßig über die eine Zahnbürste mehr in der Schublade wundern würde, aber es fühlt sich ziemlich gut an. 

Sonntag, Juni 08, 2025

kryptonit.

Du bist wie eine Narbe. Keine rote, wulstige, die für jeden sichtbar ist. Nein, eine kleine, feine, versteckt an einer Körperstelle die meist bedeckt ist. Ein beinahe weißer Strich, der sich nur im Sommer wirklich von meiner leicht gebräunten Haut abhebt. Ein glatter Strich, ohne Risse und Fasern. Genauso wie Dein Ende. 

Eine Narbe, nur sichtbar, wenn ich Menschen ganz nah an mich heranlasse. Wenn ich meinen dicken Pullover ablege, mich ungeschickt bewege und man für einen Moment mehr Haut sieht als erwünscht. Auf einmal wird sie erblickt, die Narbe die ich so gut zu verbergen versuche. Dann kommen Fragen dazu. Und ich möchte so viel erzählen, doch danach bereue ich es stets. Ich blicke in betrübte, beschämte Gesichter. Bei belanglosen Fragen erwartet man nie eine traurige Antwort. Du warst mein Leben, meine Liebe, aber auch mein Kryptonit.

Du bist wie eine Narbe. Manchmal juckst Du, ganz aus dem Nichts und mein kratzen lindert es nicht. Mich erfasst dann eine tiefe Trauer, die mir wortwörtlich die Luft nimmt. Doch manchmal bist Du auch unsichtbar, auch für mich. Die Welt dreht sich weiter. Das zu verstehen kostete mich verdammt viele Stunden, viele Flaschen Weißwein und ein sehr langes Zwiegespräch mit - falls es ihn denn gibt - einem Gott.

So ist das mit Narben. Sie bleiben auf der Haut zurück als Reaktion auf etwas Schmerzhaftes, etwas Einschneidendes. Genau das ist mit meinem Herzen passiert. In dem Moment, als ich den Anruf entgegennahm. Genau in diesem Moment ist der Platz in meinem Herzen, der für Dich reserviert war, explodiert und hat mein Herz zerfetzt.

Der menschliche Körper ist ein unglaublich effizient arbeitendes Konstrukt, ich hätte nie gedacht mich davon zu erholen. Wir überstehen viel mehr, als wir denken. Seither trage ich Dich als Narbe mit mir herum.

Freitag, Juni 06, 2025

irgendwann.

Du sagst, Du liebst mich. Nicht nur heute, sagst Du und lächelst. Du meinst, Du könntest mich glücklich machen, dass ich Deinetwegen nie wieder traurige Texte schreiben müsste. Manchmal, sagst Du, wartet man so sehr auf etwas, dass man all die anderen offenen Türen übersieht. Und Du findest, ich hätte genug gewartet. Dass sich Türen manchmal melden müssten. Laut und deutlich. Damit man sie nicht übersieht. Und jetzt stehst Du vor mir, laut und deutlich – und lächelst. Während ich still auf den Boden starre, mit dem Fuß kleine Kiesel hin und her rolle, als wäre das das Einzige, was gerade zählt.

„Liebst Du mich auch, wenn ich nicht gut gelaunt bin?“, frage ich, ohne den Kopf zu heben. „Wenn ich Dich niemals ganz an mich heranlasse, Dich wegstoße, an Dir reiße, vor Dir fliehe. Wenn ich kalt bin, mich tagelang zurückziehe, nicht auf Deine Anrufe reagiere, Deine Nachrichten ignoriere. Würdest Du mich dann immer noch lieben? Wenn ich Deine Nähe nicht aushalten kann… und Dir nie versprechen könnte, dass Du der Einzige für mich bist – wärst Du dann trotzdem noch da?“

Ich sehe Dich nicht an, aber ich weiß, dass Du gerade Deine Finger gegeneinander drückst. Dass Du auf Deiner Unterlippe kaust. Dass Du Dir eine Haarsträhne hinters Ohr schiebst. „Man kann sich nicht aussuchen, wen man liebt, oder?“, sagst Du. Ich höre das Kratzen in Deiner Stimme. Spüre das Stechen in meiner Brust. Die Worte bleiben mir im Hals stecken. Ich schüttle nur den Kopf, ziehe mit dem Fuß eine Spur in den Kies. „Dann werde ich Dich wohl weiterhin lieben, so wie Du ihn immer noch liebst. Auch wenn mich das traurig macht“, sagst Du. Und lächelst wieder.

Ich höre, wie Du aufstehst. Will nicht hochsehen. Nicht nach dem Kratzen in Deiner Stimme. Bis ich Deine Hand auf meiner Schulter spüre. „Irgendwann sieht man die neuen Türen“, flüsterst Du. Streichst mir eine Strähne hinters Ohr, drückst mich kurz an Dich, küsst mich auf die Stirn und gehst zurück zu den anderen. „Irgendwann sieht man die neuen Türen… und schließt die alten ab.“

Montag, Juni 02, 2025

betrunken.

Ich will mit Dir betrunken durch die Straßen laufen. Nachts, lachend, glücklich, gedankenlos und frei. Huckepack auf Deinem Rücken. Du und ich. Arm in Arm. Ich will bei Dir sein, wenn Du schläfst, wenn Du am nächsten Morgen erwachst und mich lächelnd ansiehst. Dich küssen. Will Dir nahe sein, jeden Augenblick genießen. Ich will, dass Du meine Hand hältst, wenn die Welt zu laut ist und sie nie loslässt. Will mich verlieren in Momenten, in denen nichts zählt außer Deinem Blick.

Montag, Mai 26, 2025

bleiben.

Heute Morgen auf dem Weg zur Arbeit habe ich über "Schmerz" nachgedacht. Über den, den wir im Laufe unseres Lebens erleben. In Wellen, in Stichen, in leisen Momenten. Schmerz, der sich manchmal in den Alltag schleicht, manchmal laut da ist, einen völlig umhaut und manchmal einfach nur sehr schwer auf der Brust sitzt, ohne sich erklären zu müssen. Ich habe im Laufe der Jahre erst verstanden, wie tief Schmerz sitzen und wie vielschichtig er sein kann. 

Ich erinnere mich an Momente, in denen ich temporär nicht mehr fähig war zu atmen und mich einfach nur auf die Straße legen und sterben wollte. Ich wollte das es aufhört. Ich wollte und konnte das nicht fühlen. Mich nicht damit auseinandersetzen. Ich musste erst lernen, Schmerz überhaupt zuzulassen. Lange Zeit war funktionieren einfacher. Sich ablenken, unermüdlich arbeiten, weitermachen, alles unter Kontrolle behalten. Aber irgendwann reicht das nicht mehr. Irgendwann meldet sich das, was wir nicht fühlen wollten. Und wenn es kommt, dann nimmt es mir manchmal die Luft. Es sitzt schwer auf meinen Schultern. Und trotzdem – es gehört zu mir. Zu dem, was war. Zu dem, was fehlt.

Mit dem Tod meiner Oma habe ich eine neue Qualität des Schmerzes kennengelernt, die ich noch nicht kannte und ich spüre diesen Schmerz besonders deutlich. Wenn eine Konstante Deines Lebens stirbt, klafft dort ein riesiges Loch. Es gibt so viele Dinge, die sich gerade verändern, so viele Umbrüche, so viel Unsicherheit – und sie fehlt. Nicht, weil sie immer die perfekten Antworten hatte. Sondern weil sie mir diese ruhige, fast unerschütterliche Form von Vertrauen gegeben hat, die ich selbst manchmal nicht aufbringen kann. Sie war da. Immer. Und ihr Blick hat mir gesagt: „Kind, du schaffst das. Du musst nur weitergehen!“ Wie oft hat Sie meine Hand dabei gehalten. Letzte Woche hat mich jemand aus meiner Vergangenheit gefragt, was in der Zwischenzeit passiert ist und ich habe es zum ersten Mal seit Langem ausgesprochen: Sie ist tot. Der Satz kam, und mit ihm eine Welle. Der Schmerz war plötzlich da – groß, dicht, überrollend.

Ich übe mich darin, nicht mehr wegzulaufen oder auszuweichen. Den Schmerz in meinem Leben nicht mehr zu übergehen, nicht kleinzureden. Sondern ihn da sein zu lassen. Als Teil von mir. Als Teil dieser Geschichte, die mich trägt, auch wenn sie manchmal weh tut. Vielleicht ist genau das der mutigste Schritt: einfach dazubleiben. Das auszuhalten. Im Gefühl. In der Verbindung. Und auch in der Erinnerung. Das ist das, was Du mir beigebracht und vorgelebt hast. 

Dienstag, Mai 20, 2025

raum.

Zwei Menschen betreten einen Raum. Es gibt kein bestimmtes Ziel, keinen Vertrag, keine Bedienungsanleitung und keinen Notausgang. Ich bringe Angst mit, er Vertrauen. Ich werfe mit Fragen, er fängt sie mit offenen Händen. Ich teste Grenzen, er nennt es Herausforderung. Er balzt, ich kontere – manchmal einfach mit einem Augenrollen. Dann ist da diese Art von Stille, die Platz schafft. Raum für Nähe, die kein Tempolimit kennt. Und irgendwo dazwischen erzählen wir uns die Dinge, die sonst keiner sehen darf. Die guten, die kaputten und die mit der Aufschrift „Vorsicht, kann bei Berührung explodieren“. Und es passiert etwas, das sich nicht benennen lässt, aber seltsam richtig anfühlt. Leicht und im Flow. 

Es fühlt sich an wie ein System, das sich selbst austariert und gefunden hat. Wie ein Spiel, das keiner gewinnen muss, weil beide freiwillig mitspielen und bleiben. Ohne Agenda. Ohne Druck. Nur zwei Menschen, die sich gegenseitig aufmachen. Wort für Wort, Bild für Bild, Kuss für Kuss, Hemdknopf für Hemdknopf. 

Donnerstag, Mai 15, 2025

nulllinie.

Es gab eine Zeit, da war ich richtig effizient und habe meine Gefühle abgestellt. Ich wollte diesen ganzen Stress mit zwischenmenschlicher Kommunikation - insbesondere diesen emotionalen Tanz zwischen Mann und Frau - aus meinem Leben herausschneiden. Das Resultat: Ich war innerlich tot. Ich habe überhaupt nichts mehr gefühlt. Ich habe niemanden in mein Herz und Leben gelassen. Ich hatte nicht nur den ganzen Stress ausgeschaltet und weggeschnitten, sondern mein komplettes Herz weggesperrt. Keine Aufs, keine Abs. Emotionaler Ruhepuls von null. Und dann kam da unerwartet jemand um die Ecke und setzte sich dazu. Ohne Drama. Ohne Druck. Einfach da. Auf Augenhöhe. Einer, der Fragen stellt, statt Spielchen zu spielen. Und ich? Ich merke: Ich bin offenbar doch nicht innerlich tot. Und plötzlich fühlt es sich nicht mehr wie ein Risiko an – sondern wie eine ziemlich gute Idee.

Dienstag, Mai 06, 2025

türen.

Ein Satz, den meine Oma irgendwann mal zu mir gesagt hat, als ich dabei war, mein Innen und Aussen zu sortieren während der Boden temporär wackelig war: "Nutze Deine Sprache wie eine Tür und nicht wie einen Zaun!" 

Das ist mir heute wieder eingefallen. Ich hatte es völlig vergessen. Wie klug sie war. Sie fehlt mir sehr. 

Sonntag, Mai 04, 2025

veränderung.

Heute morgen habe ich vor meinem Visionboard in Größe A1 für 2025 gestanden. Einfach so. Mit Tee in der einen Hand, Schlaf im Gesicht und Gedanken, die irgendwie noch barfuß unterwegs waren. Und plötzlich hat’s gekribbelt – dieses leise, eindringliche Kribbeln, das sagt: Du bist weiter, als du dachtest. Manchmal übersieht man gern die kleinen Schritte, weil man auf das große Ziel starrt wie auf einen viel zu hellen Punkt am Horizont. Dabei hat sich still und heimlich so viel verschoben. Innen. Außen. Alles ist irgendwie in Bewegung. Ich hab’s nur noch nicht ganz realisiert.

Seit ein paar Jahren mache ich nun diese Boards. Mit Schere, Kleber, Bildern, Worten. Wünschen. Richtungen. Gefühlen. Und jedes einzelne Mal, fast unheimlich zuverlässig, ist das, was da hängt, später Teil meiner Realität geworden. Nicht über Nacht. Aber über Herz, Mut, Tränen, Entscheidungen. Über Zeit. Ich liebe dieses Ritual. Jedes Jahr zwischen den Tagen vor Silvester. Mittlerweile ist es fester Bestandteil. 

Und dieses Jahr? Dieses Jahr hat es besonders in sich. Hochs und Tiefs wie eine Herzlinie nach einem Sprint. Phasen, in denen ich nicht wusste, wo oben ist. Und andere, in denen ich dachte: So fühlt sich Kraft an. Und Richtung. Und das ganz ohne Kompass. Alles wackelt manchmal, auch ich. Aber wenn ich auf dieses Board schaue, dann sehe ich nicht nur Bilder. Ich sehe mich. Und wie weit ich schon gekommen bin.

Vielleicht ist das das schönste Gefühl überhaupt: zu merken, dass man sich selbst nicht verloren hat – auch wenn sich gerade alles verändert.

Samstag, Mai 03, 2025

stolpern.

Manchmal sitzt man jemandem gegenüber und realisiert, dass man sieben Jahre lang ganz gut darin geworden ist zu funktionieren – aber nicht mehr weiß, wie man sich öffnet und wie Nähe eigentlich geht. Und während der andere spricht, lacht, erzählt, versucht, Pausen zu füllen, sitzt man da und denkt: Bitte nimm das nicht persönlich. Ich bin einfach gerade völlig überfordert. Nicht von Dir. Sondern von allem, was dieser Moment mit mir macht.

Und vielleicht war ich überhaupt nicht souverän. Nicht locker und leicht wie sonst. Nicht besonders charmant. Aber ich war da. Mit allem, was ich in dem Moment hatte. Ich wollte nicht stolpern.

Donnerstag, Mai 01, 2025

zen.

Irgendwas zwischen 120er Puls, Herzinfarkt, kontrolliertem Atmen in eine Papiertüte und völliger innerer Zen-Ruhe. Mein Nervensystem tanzt Rumba und ich stehe daneben und klatsche höflich mit. Ich habe alles voll im Griff. Vertraut mir!

Dienstag, April 29, 2025

nackt.

Ich fühle mich nackt. Von meinen Gefühlen so entblößt, dass ich Angst habe, der kleinste Windhauch könnte die starke Hülle, die ich mir in den vergangenen Jahren aufgebaut habe, jeden Moment zerstören. Eine Hülle aus Beherrschung, leisen Fluchten, aus der Kunst, zu funktionieren, auch wenn innen längst nicht immer alles stabil ist.

Eine Rüstung, die schwer geworden ist und doch Sicherheit verspricht. Aber manchmal kommt da jemand, der nicht an deine Rüstung klopft, sondern der einfach davor sitzen bleibt. Still. Geduldig. Jemand, der nicht fordert, dass du dich zeigst. Sondern dem Du Dich zeigen willst. Nicht, weil Du musst. Sondern weil Du spürst, dass es keine Rolle spielt, ob Du perfekt bist. Oder zerbrechlich. Dass Dasein genügt.

Und vielleicht geht es am Ende nicht darum, die Angst loszuwerden. Sondern darum, sie an die Hand zu nehmen und trotzdem einen Schritt weiterzugehen. Nackt. Unperfekt. Verletzlich. Echt.

Samstag, April 26, 2025

.

 Die Welt verändert sich mit dem, der neben einem ist – oder neben einem fehlt.

Mittwoch, April 23, 2025

trick 17.

Es ist immer dasselbe Spiel. Er schreibt. Du lachst. Es knistert. Du denkst: Vielleicht dieses Mal. Spoiler: Wahrscheinlich nicht.

Denn Verliebtsein ist ein Trick. Einer, den der Körper uns spielt, damit wir uns noch trauen, Nähe zuzulassen, bevor der Verstand wieder Oberwasser bekommt. Und ja – es fühlt sich gut an. Aber echt ist es erst, wenn die Lichter wieder aus sind. Verliebtsein fühlt sich an wie der große Wurf. Alles kribbelt. Alles ist aufregend. Man redet zu viel, lacht zu laut und schreibt plötzlich Sätze mit drei Ausrufezeichen. Es ist ein chemischer Ausnahmezustand – Dopamin, Adrenalin, dieser ganze hormonelle Wahnsinn, der einem vorgaukelt: Das ist es. Endlich. Jetzt.

Und dann? Dann kommt der Teil, in dem das Licht wieder angeht. In dem man sich nicht mehr nur das Beste im Anderen vorstellt, sondern tatsächlich sieht, wer da neben einem sitzt. Ohne Filter. Ohne rosa Brille. Und dann entscheidet sich, ob da mehr ist. Liebe ist kein Rausch. Sie ist auch kein Versprechen. Sie ist Arbeit. Sie ist Bleiben, wenn es anstrengend wird. Sie ist Zuhören, wenn man müde ist. Sie ist Respekt, wenn man streitet. Liebe braucht keine Bühne. Aber sie hält die Stille aus.

Verliebtsein ist der Anfang. Liebe ist das Danach. Und ob aus dem einen das andere wird, zeigt sich erst, wenn der Hormonsturm sich gelegt hat. Wenn keine Projektionsfläche mehr bleibt, sondern ein Mensch. Verliebtsein ist der Funke. Liebe ist das Feuer, das du jeden Tag neu anzündest. Leise. Ohne Feuerwerk. Aber mit allem, was zählt.

Und morgen fragt wieder jemand, ob’s noch kribbelt.
Nein. Aber ich bleib trotzdem.

Samstag, April 05, 2025

frühling.

Draußen wird es Frühling. Die ersten richtig schönen wärmeren und sonnigen Tage. Die Bäume explodieren in hellem Grün, die Blüten werfen mit Schönheit um sich. Vögel zwitschern, die Papageien fliegen übermütige Stunts, Kinder lachen, die Straßencafés sind voll, alles will raus, alles will wachsen. Und ich? 

Ich bin so unendlich müde und fühle nichts. Weil alles zu viel ist. Ich habe diese Woche eine kleine Summe Geld geerbt. „Ein Geschenk.“ Aber mir ist nach Rückgabe. Nach Umtausch. Ich will keine Zahl auf einem Konto – ich will meine Oma zurück. Diese kleine, starke Frau. Diese Wärme, diese Stimme, dieses unverwechselbare „Na, mein Kind?“ Ich würde alles dafür geben, noch einmal mit ihr Tee zu trinken. Oder zu schweigen. Einfach nur da zu sein. Scheiss auf das Geld! Da ist ein Riss im Herzen. Und diese absurde Frühlingsfülle macht es nur noch klarer: Die Welt lebt während sie tot ist. Seit nun 3Monaten.

Und ich? Ich funktioniere. Meine Uhr sagt: „Du bist verbunden mit der grenzenlosen Energie des Universums.“ Vielleicht stimmt das ja sogar. Aber heute spüre ich nur Erschöpfung. Heute bin ich nicht verbunden, sondern verloren. Nicht leuchtend, sondern leise. Und das darf sein. Vielleicht ist das meine Art von Frühling. Ein ganz langsamer, leiser. Einer, der erst unter der Haut zu blühen beginnt. Bis dahin darf ich müde sein. Ich darf fehlen lassen. Und trotzdem weitergehen.

Freitag, März 14, 2025

gedanken.

Manchmal schlägt das Leben einen Weg ein, den man nie gehen wollte. Kann sich ein Leben in nur einer Sekunde ändern? Aber ja. Alles dreht sich um. Aus oben wird unten. Aus weiß wird schwarz. Aus Tag wird Nacht. Für immer?

Nein. Aber für sehr lange.

Donnerstag, März 13, 2025

glücksplosion.

Ich liebe es, wenn der Raureif die Dächer der Nachbarhäuser mit glitzerndem Frost überzieht. Wenn die Papageien ihre Lieder im Hof piepsen. Wenn der Morgennebel sanft über der Straße schwebt. Wenn die Abendsonne die Wolken in zartes Rosarot taucht. Wenn meine Nachtgedanken durch die Dunkelheit wandern. Ich liebe es, den Herbstwind auf meiner Haut zu spüren. Im Winter meinen Atem in der kalten Luft tanzen zu sehen. Wenn frisch gefallener Schnee die Stadt in Stille hüllt, als hätte jemand die Welt auf „Pause“ gedrückt. Von Frühlingsgefühlen high zu werden. Im Sommerregen zu tanzen.

Ich liebe es, am Meer vor mich hin zu träumen. Mit Freunden um einen flackernden Grill zu sitzen, den Duft von glühender Holzkohle in der Luft und das Knistern der Flammen in den Ohren. Mir in der Badewanne Schaumhüte aufzusetzen. Mit dem Einkaufswagen Wettrennen zu fahren. Die Hand meiner Tochter zu halten, ihre Finger in meinen zu spüren und zu wissen, dass es keinen sichereren Ort für sie gibt. Die Liebe von Freunden zu spüren, die einfach da sind. Ich liebe es, ganz fest umarmt zu werden. So laut zu lachen, dass es weh tut und doch wunderschön ist. Manchmal einfach nur allein zu sein. Nach Hause zu kommen.

Es sind diese Momente, die mich fast glücksplodieren lassen. Die so klein und unscheinbar wirken und doch so groß und bedeutend sind. Es sind diese Momente, die mir Tränen in die Augen treiben. Die sich anfühlen wie Konfettiregen. Es sind diese Momente, in denen ich in die Welt hinausrennen will, um mich in ihrer sanften Schönheit zu verlieren. Still den Augenblick zu genießen. Es sind diese Momente, die mir zuflüstern: Zu jeder Zeit und an jedem Ort kann das Leben besonders sein.

Mittwoch, Februar 19, 2025

achterbahn.

Das Leben ist wie eine Achterbahn. Auf der Fahrt durch Höhen und Tiefen, Rechts- und Linkskurven, Loopings und Schrauben wird uns einiges abverlangt. Menschen steigen ein und wieder aus - einige davon fahren nur eine kurze Weile mit und andere bleiben bis zum Schluss sitzen. 

Manchmal genießen wir den atemberaubenden Ausblick aus schwindelerregender Höhe, manchmal hält uns die Schwerkraft gnadenlos unten. Es gibt Momente, in denen wir voller Vorfreude die Arme in die Luft reißen – und solche, in denen wir uns nur noch festklammern und hoffen, dass der nächste Abschnitt sanfter wird. Die Geschwindigkeit überrascht uns oft – mal rasen wir durch das Leben, ohne richtig innezuhalten, mal zieht sich die Fahrt zäh wie in Zeitlupe. Und doch geht es immer weiter. Jede Begegnung, jede Kurve, jede unerwartete Wendung formt unsere Reise. Manche Mitfahrer hinterlassen Spuren in unserem Herzen, auch wenn sie längst ausgestiegen sind. Andere sitzen still neben uns, während wir gemeinsam durch die Wirbel des Lebens rauschen.

Egal, wie wild die Fahrt ist – am Ende zählt nicht, wie oft wir gefallen sind, sondern wie oft wir das Lachen nicht verlernt haben.

Sonntag, Februar 16, 2025

reichtum.

Die Sonne scheint. Es ist unglaublich kalt und eisig. Ich mag dieses Wetter. Es hat so etwas gemütliches. Ich sitze in meiner warmen Pyjamahose am Küchentisch, schaue in die Sonne und denke an Dich. Ich muss lächeln. Gleichzeitig ist mir zum Weinen. Ich vermisse Dich so unglaublich, dass es wehtut. Gestern wollte ich Dich anrufen und von den letzten Wochen erzählen. Das Leben steht nicht still. Mir fehlen unsere Gespräche. Deine Hand auf meiner. 

Trotz allem überwiegt die Dankbarkeit und Freude, dass ich Dich hatte und Du mich so bedingungslos geliebt hast. Das macht mich wirklich reich. 

Sonntag, Januar 26, 2025

85.

Die letzten Wochen hatten sehr viel Schwere. Aber so ist das, wenn jemand geht, der so wichtig war: schwer. 

Heute wäre Dein 85.Geburtstag gewesen. Ich hab mir die Fotos der letzten Geburtstage angeschaut. Wahnsinn, wie schnell sich Dinge plötzlich ändern können. Ich werde Freitag auf Dich anstoßen, dann bist Du genau vier Wochen tot. Wir werden dabei besprechen, wer am Samstag wo sitzt, wo läuft, etc. Du kannst Dir vorstellen, wie sehr ich innerlich die Augen verdrehen werde. Ich werde versuchen den Spass und die Doppelmoral links und rechts einfach auszublenden. Vielleicht baue ich in meine Rede noch eine Deiner Anekdoten von den Bombennächten 1945 ein und wieviel Angst Du davor hattest, dass das wieder passieren kann in den nächsten Jahren. Du hast meine Hand festgehalten und erzählt, wie sehr sich die Bilder und Geräusche in Dein Gehirn eingebrannt haben. Wie oft haben wir bei schlimmen Gewittern nachts im Flur auf der Bank gesessen als ich ein Kind war, nachdem Du alle Stromquellen abgeschaltet hattest, die wichtigsten Papiere in der Hand, weil Du bereit sein wolltest zu fliehen. Dein Kriegstrauma. Du hast 1945 auf dem Gepäckträger gesessen und die Tasche mit den Papieren fest umklammert auf dem Weg zum Bunker. Es wird an der Einstellung Anwesender de facto nichts ändern bei der Wahl in 4Wochen. 

Ich habe all Deine Geschichten so sehr geliebt. Alles Liebe zum Geburtstag, Du verrückte Nudel. Ich vermisse Dich. 

Mittwoch, Januar 22, 2025

steine.


Du bist jetzt seit fast drei Wochen tot und es ist keine einzige Woche vergangen, in der ich nicht mindestens dreimal das Bedürfnis hatte, Dich anzurufen und Dir von irgendetwas zu erzählen.

Je näher der Tag Deiner Beerdigung rückt, umso größer wird der Stein in meinem Magen.

Donnerstag, Januar 02, 2025

zeit.

Letzten Mittwoch hast Du meine Hand fest gedrückt und die ganze Zeit nicht losgelassen. Deine Augen haben gestrahlt und gelacht, als Du die Untermieterin und mich erkannt hast. In diesem Moment warst Du ganz da. Du konntest es gar nicht fassen, dass wir tatsächlich da sind trotz der großen Entfernung. Du hast gelächelt und gesagt: „Ich komme euch bald besuchen.“

Zwischendurch bist Du immer wieder im tiefen Nebel verschwunden, und ich habe jede Deiner Bewegungen beobachtet. Deinen Blick, der ins Leere glitt. Deine Hände, die so vertraut und doch so zerbrechlich wirkten. Ich wollte mir jedes Detail genau einprägen, als könnte ich damit die Zeit anhalten. Es hat Dich sichtlich Kraft gekostet, Dich zu konzentrieren, bei uns zu bleiben, diesen Moment mit uns zu teilen. Beim Abschied habe ich Dich immer wieder fest umarmt und geküsst. Am liebsten hätte ich Dich überhaupt nicht losgelassen – weil ich nicht wusste, ob es vielleicht das letzte Mal ist.

Seit Samstag hat sich Dein Zustand rapide verschlechtert. Du isst und trinkst kaum noch, selbst die Tabletten bleiben nicht in Dir. Dein Körper ist voller Wasser, und Du bist so verändert. Abwesend. Du möchtest nicht mehr aufstehen. Alle machen sich große Sorgen – auch die Pflegekräfte. Am Telefon hat meine Mutter heute geweint. Sie sucht noch nach Erklärungen, nach einem Schuldigen, klammert sich an die Hoffnung, dass es doch noch besser werden könnte. Aber sie hat auch das ausgesprochen, was ich schon länger denke, aber nicht wahrhaben wollte: Dein Körper hat wahrscheinlich keine Kraft mehr.

Du bist müde. Ich sehe es. Wir alle sehen es. Und es bricht mir das Herz. Aber vielleicht ist es jetzt Zeit, loszulassen – auch wenn es noch so weh tut. Du hast so viel gegeben, so viel geliebt. Du bist so wichtig für uns. Und das wirst Du immer bleiben.