Sonntag, November 02, 2025

gegenwart.

Ich will mich nicht mehr im damals verlieren. Ich bin im heute schon ziemlich verloren. Ich dachte immer, ich könnte Dich irgendwie ein bisschen länger festhalten, wenn ich viel über Dich schreibe. Ich wollte Dir gerne noch ein bisschen länger über den Kopf streichen, noch ein bisschen länger in Deinen Armen einschlafen - aber das konnte ich nicht. Zumindest nicht mehr anders als mit Worten. Und die Worte, die mir noch blieben, wollte ich nicht loslassen. Also hab ich Texte geschrieben. Und Gedichte. Dir Wort für Wort geschenkt. Dich in meinen Sätzen konserviert, Dich Satz für Satz weitergeatmet. Dich immer tiefer in mich geschrieben. Manchmal Satz für Satz geheult. Aber Worte halten keine Menschen. Sie halten nur den Schmerz in Bewegung. Ich habe Dich in jede Zeile geschrieben, als könnte ich Dich so wieder zusammensetzen. Aber irgendwann verliert selbst Erinnerung die Schärfe.

Manchmal streife ich noch durch Erinnerungen wie durch ein altes Haus. Ich klappere Türen ab, von denen ich längst weiß, dass sie nicht mehr aufgehen. Ich streiche über Sätze wie über Wangen, die nicht mehr warm sind. Ich lege Gedanken in die Stille wie Blumen auf ein Grab. Es war nie einfach mit uns. Da war immer schon viel zu viel drum herum und wir haben es nie auf Dauer geschafft, einfach nur der Mittelpunkt zu sein. Mittlerweile verblassen die Worte vor meinen Augen, wenn ich über Dich schreiben will. Ich kann nicht mehr über das schreiben, was Du bist. Über das, was Du tust. Es bleibt mir nur noch das Präteritum. Jeder meiner Sätze verliert sich in der Vergangenheit. Und ich, ich bin nicht da. Ich bin nicht in der Vergangenheit. Ich bin hier. Und nach all den Worten über Dich, nach all den langen Nächten, in denen Du mir fürchterlich gefehlt hast, nach all den Tagen, an denen ich an nichts anderes denken konnte, als an Dich, möchte ich nicht mehr in die Vergangenheit flüchten.

Sie gibt mir nicht mehr so viel Geborgenheit wie Du es immer konntest. Vielleicht ist es auch das. Ich hab in den Texten über Dich das Gefühl gesucht, das Du mir immer gegeben hast. Und je weiter weg Du rutschst, desto schwieriger wird es für mich, genau dieses Gefühl zu finden. Ich will mich nicht mehr im damals verlieren. Ich bin im heute schon ziemlich verloren. Es ist einfach wahr. Ich bin hier. Und Du bist es nicht mehr, weil Du tot bist. Ich bin noch hier, aber nicht ganz. Weil ein Teil von mir in einem „Früher“ wohnt, das nicht mehr antwortet. Und ein anderer Teil nach vorne schaut, blinzelnd, suchend, taub vor Sehnsucht. Das ist vielleicht die Wahrheit. Nicht, dass es heilt. Sondern dass man lernt, mit der Leerstelle zu leben. Dass Liebe nicht stirbt, sie verlagert sich nur. Man trägt sie weiter. Nicht mehr an der Hand, aber im Herzschlag. Ich weiß, dass Liebe nicht wiederholt, was einmal war. Sie wächst neu, anders, trotzdem. Und manchmal wächst sie still. Heimlich. In einer Gegenwart, die einen wieder berührt. Er ist mein Trotzdem, meine Gegenwart - mein Herz. Und manchmal, wenn ich ihn anschaue, spüre ich etwas, das leiser ist als all der Schmerz, aber stärker als die Erinnerung. Eine neue Verlässlichkeit. Er sieht nicht das, was fehlt, sondern das, was bleibt und trägt. Ich lerne, dass Loslassen nicht bedeutet, weniger zu lieben. Sondern tiefer. Freier. Weiter. Ich trage Dich nicht mehr vor mir her. Ich trage Dich in mir. Und während ich das tue, halte ich jemand anderen an der Hand, als bewusste Entscheidung. Für mich. Für das Leben. Für das Jetzt.

Samstag, November 01, 2025

november.

November. Die Luft fühlt sich schwerer an, dichter, als würde sie sich erinnern. Man geht langsamer, denkt leiser, atmet vorsichtiger. Vielleicht, weil zu viele Namen mitschwingen, die man nicht mehr ruft. Die, die fehlen, haben immer noch ihren Platz, irgendwo zwischen Erinnerung und Gegenwart. Sie sind nicht wirklich weg, eher in einer anderen Frequenz, die man manchmal noch spürt, wenn es still genug ist. Besondere Menschen fehlen. Nicht laut, aber tief. Manchmal ist es ein Geruch, der mir begegnet, manchmal ein Satz, den sie gesagt hätten, manchmal nur dieses Gefühl von Verlässlichkeit, das ich nur noch schwer finde. Man sagt, die Zeit heilt, aber vielleicht stimmt das nicht. Vielleicht macht sie nur Platz für den Schmerz, damit er sich hinsetzen kann, leiser wird, aber bleibt. Heute ist einer dieser Tage, an denen man spürt, dass Liebe nichts löst, sie bleibt einfach. Auch wenn niemand mehr antwortet.

Mittwoch, Oktober 29, 2025

adieu.

Ich bin offiziell Patientin Null des Büro-Seuchen-Clusters 2025. Irgendwelche Viren haben beschlossen, dass mein Immunsystem ein Freizeitpark ist, und ich sitze hier, schniefend, mit glasigen Augen und der Energie eines halb aufgeladenen Handys. Aber natürlich noch in der Firma. Weil Vernunft offensichtlich etwas für Menschen mit Temperatur unter 38 Grad ist. Jeder Atemzug klingt wie ein alter Kühlschrank, die Nase läuft, die Glieder schmerzen und mein Kopf fühlt sich an, als hätte jemand Watte und Weltschmerz darin kombiniert. Ich beantworte Mails in Zeitlupe, trinke literweise Tee und überlege, ob ich mich gleich einfach unter den Schreibtisch legen soll, bis jemand mich nach Hause trägt. Kurz gesagt, es geht zu Ende. Es war schön mit Ihnen. Erzählen Sie meine Geschichte!

Dienstag, Oktober 28, 2025

dazwischen.

Vorher war die Welt noch ganz. Sie hatte Ecken und Kanten, an denen man sich festhalten konnte. Geräusche, die Sinn ergaben. Luft, die nach Alltag roch. Man ging durch die Stunden, ohne zu ahnen, dass man sie eines Tages zählen würde. Alles war beiläufig. Gespräche, Bewegungen, das eigene Atmen. Vielleicht war sogar Leichtigkeit da, dieses unbewusste Vertrauen, dass nichts Schlimmes passieren kann, solange man noch lacht. Man trat hinaus mit offenen Schultern, nicht nur weil man mutig war, sondern weil das Leben sich nicht gefährlich anfühlte. Und irgendwo zwischen Routine und Unachtsamkeit vibrierte etwas. Ein leises Unstimmigsein, kaum hörbar. Man ging darüber hinweg, weil man funktionieren wollte. Weil man glaubte, man habe Kontrolle. Und dann nur ein Klicken. Nur eine feine Verschiebung in der Atmosphäre, wie das Abfallen des Luftdrucks vor einem Gewitter. Das Herz beginnt, anders zu schlagen. Der Körper spürt es zuerst. Der Verstand ist noch höflich, lächelt. Und dann ist es zu spät.

Nachher ist alles still. Aber nicht diese gute Stille, die nach Frieden klingt. Sondern die Stille, in der nichts mehr atmet. Die Welt sieht gleich aus, aber sie berührt anders. Die Luft ist dieselbe, aber sie schneidet. Geräusche sind zu laut, Licht flackert, der Alltag klirrt gegen die Haut. Man sitzt in sich wie in einem brennenden Haus, das von außen unversehrt aussieht. Der Körper? Kein Zuhause mehr. Archiv. Eine Lagerhalle für Erinnerungssplitter. Ein Ort, den man meidet, obwohl man ihn trägt. Vorher war Vertrauen ein Zustand. Nachher ist es Arbeit. Vorher war man jemand. Nachher, jemand, der alles erinnert, ohne es fühlen zu dürfen. Denn Fühlen würde bedeuten, zurückzugehen. Und es gibt keinen Rückweg. Also legt man Schichten über die Haut. Viele Schichten. Zwischen sich und die Welt. Man lacht im Supermarkt, sagt: "Mir geht’s gut", obwohl man längst nicht mehr weiß, was das heißt. Überleben macht keinen Lärm. Es steht nicht auf, es ruft nicht um Hilfe. Es sitzt still in der Ecke und hofft, dass niemand merkt, dass etwas fehlt. Und an guten Tagen? An guten Tagen fühlt es sich fast an wie Leben. Aber nur fast.

Samstag, Oktober 25, 2025

fehlen.

Wenige Menschen hinterlassen keine Lücke, sie hinterlassen einen tiefen Abdruck. Wie eine warme Decke, die immer da war. Wie das weiche Licht, das morgens durchs Küchenfenster fiel, wenn sie schon längst wach war. Meine Oma war so ein Mensch. Sie war nicht laut. Aber wenn sie etwas sagte, dann blieb es. In mir. In der Art, wie ich manchmal meinen Tee halte. In der Stille, die ich heute auszuhalten gelernt habe. In dem Blick, mit dem ich manchmal andere anschaue, bevor ich etwas sage. Weil sie es auch so gemacht hat.

Seit fast zehn Monaten ist sie weg. Und es gibt Tage, da ist das nur ein Gedanke, der still neben mir sitzt. Und dann gibt es Tage, an dem alles ein bisschen grauer klingt. An dem die Welt so wirkt, als hätte sie ihren festen Halt verloren. An dem ich denke, ich könnte sie nochmal anrufen, um kurz ihre Stimme zu hören. Nur kurz. Nur ein bisschen Zuversicht durch die Leitung, wie früher. Sie fühlte sich immer an wie eine Umarmung.

Sie fehlt nicht wie ein Knall. Sie fehlt wie eine leise, zähe Sehnsucht. Wie eine Stelle im Herzen, die einfach nicht heilt, aber ruhig bleibt. Sie war nicht der Mensch, der sich in den Vordergrund drängte, sie war die, die im Hintergrund alles zusammenhielt. Und manchmal wünsche ich mir, sie wäre noch da, einfach um ihr zuzusehen. Wie sie in der Küche steht. Wie sie ihren Satz zu Ende denkt. Wie sie meine Hand nimmt, ohne dass ich erklären muss, warum mir gerade alles zu viel ist. Ich trage sie mit mir. In meinem Blick. In meiner Art, Menschen zu halten, wenn sie fallen. In meinem leisen Wissen, dass Stärke nicht immer laut ist, sondern manchmal einfach nur da.

Scheisse, Du fehlst mir.

Freitag, Oktober 24, 2025

Liebe im 21.Jahrhundert.

Liebe im 21. Jahrhundert. Sieht regelmäßig ein bisschen aus wie ein geteiltes Google-Kalenderblatt. Hier - ein Spagat zwischen Patchwork-Familie und Job, zwischen Deadline und Date-Night. Spannend finde ich, etwa 1 von 10 Familien in Europa lebt in einer Patchwork‑Konstellation. Über 35 % aller Ehen werden aktuell geschieden und rund 16 % der minderjährigen Kinder in Deutschland wachsen heute mit Stiefeltern oder in einer neuen Partnerkonstellation auf. Kindfreie Wochenenden werden gehandelt wie seltene Pokémon-Karten, Termine jongliert wie brennende Fackeln.

Knapp 70 % der Deutschen sagen, dass Zeitmangel die größte Herausforderung für ihre Beziehung ist. Mehr als 60 % verbringen weniger als eine Stunde bewusste Zeit täglich mit ihrem Partner. Es ist ein permanentes Austarieren. Man schickt Küsse als Sprachnachricht im Auto, plant Zärtlichkeit zwischen zwei Calls und freut sich über ein gemeinsames Frühstück, als wäre es ein Miniurlaub. Komplimente kommen per WhatsApp, Streit wird bei zu wenig Zeit auf „nachher“ vertagt. Man verhandelt, schiebt, priorisiert und hat manchmal das Gefühl, gegen die Kalender-App und den Alltagswahnsinn zu verlieren. Studien zeigen, dass moderne Beziehungen zunehmend Arbeit bedeuten. Kommunikation, Planung, Aushandlung und nicht mehr bloß Gefühle.

Trotzdem bleibt etwas. Vielleicht ist es gerade dieses Möglichmachen, das zählt. Die kleinen Pausen. Das Wissen, dass Nähe heute kein Selbstläufer mehr ist, sondern ein Plan, der immer wieder gegen das Leben antritt. Und manchmal reicht ein einziger gemeinsamer Tag, damit sich alles wieder richtig anfühlt. Ich denke, genau das ist das am Ende Liebe. Nicht Perfektion, sondern der Wille, sich immer wieder neu füreinander zu entscheiden. Mitten im Chaos, zwischen Sprachnachrichten, WhatsApp, Alltag, Projekten, Unruhe und Meetings.

Donnerstag, Oktober 23, 2025

morgenrituale.

Dieser Moment morgens in der Küche. Er trinkt seinen Kaffee aus der French Press, schmiert sich sein Brot fürs Office, es laufen Nachrichten. Wir sitzen am Tisch und diskutieren meist immer noch 20Minuten über gesellschaftspolitische Themen, die gerade thematisiert wurden oder reden darüber, was uns gerade beschäftigt. Es gibt noch ein paar Küsse und feste Umarmungen, bevor jeder in seinen Joballtag startet. Ich liebe wirklich alles daran. Unser kleines Morgenritual.

Mittwoch, Oktober 22, 2025

dinge.

Es sind nie die großen Gesten, die etwas besonders machen. Oft sind es die kleinen Dinge, die fast übersehen werden. Ein Satz, der hängen bleibt. Ein Blick, ein Kuss, eine zufällige Berührung zwischendurch. Das Kind, das Geburtstage notiert, die nicht ihre eigenen sind. Das beiläufige Wir. Manchmal merkt man erst später, dass man längst dabei ist ein Team zu werden. Nicht, weil man es geplant hat, sondern weil man aufgehört hat, gegeneinander zu laufen. Und plötzlich fühlt sich alles selbstverständlich an.

Dienstag, Oktober 21, 2025

anker.

Es gibt Erlebnisse, die fühlen sich an, als gehörten sie jemand anderem. Wie eine fremde Geschichte im eigenen Kopf. Man erinnert sich an alles, aber nichts davon sitzt wirklich in der eigenen Haut. Fragebögen werden schnell und rational ausgefüllt, als würde Geschwindigkeit schützen. Das Gefühl bleibt draußen, wie durch eine Scheibe. Es ist ein Schutzmechanismus: Lieber Beobachter sein als Betroffene. Irgendwo weiß ich, dass es meine Geschichte ist. Aber sie fühlt sich an wie ein Film, bei dem ich nur zuschaue. Kein Versagen, kein Fehler, sondern ein ziemlich kluger Trick des Kopfes, damit der Alltag weiterläuft. Dissoziation. Der Kopf zieht einen Schleier, damit man atmen kann. Handlungsfähig bleiben, statt unterzugehen, weil das, was zu groß ist, erstmal ausgelagert wird. Vielleicht holt es einen irgendwann ein, vielleicht auch nicht. Es ist, wie es ist.

Im dritten Bogen steht die Frage nach Suizidgedanken. Ich bleibe an dieser Zeile hängen. Wussten Sie, dass über ein Drittel der Frauen, die sexuelle Gewalt erlebt haben, laut internationaler Studien von Suizidgedanken berichten? Und etwa 13 Prozent einen Suizidversuch unternommen haben? Die Untermieterin ist mein unsichtbarer Anker, der alles hält. Felsenfest. Und dann gibt es Menschen, die nicht nachfragen, sondern einfach bleiben. Die die Schwere, die manchmal spürbar ist, nicht wegreden, aber auch nicht dramatisieren. Die einfach sagen: Ich bin für Dich zuständig, wir gehen den Weg gemeinsam. Mehr braucht es nicht. Am Ende bleibt dieser merkwürdige Trost, dass beides sein darf. Dass ich nicht erklären muss, warum es manchmal schwer ist, und trotzdem aus tiefstem Herzen lachen kann. Distanz und Nähe. Manchmal reicht das. Traumatherapie, here we come. Vielleicht zeigt sie am Ende genau das. Was bleibt, was geht, was irgendwann näher rückt und was nie ganz verschwindet.

ewig.

Man kann ziemlich lange so tun, als hätte man ewig Zeit. Entscheidungen werden auf einen Haufen gelegt, ordentlich geschichtet, nichts eilt, nichts drängt. Zeit genug, denkt man, bis alles von selbst verschwindet. Aber aufgeschobene Schnitte bleiben scharf, auch wenn man sie nicht sieht. Irgendwann muss man sich halt mal kümmern. Funktioniert erstaunlich gut, solange niemand nachfragt und das Leben im Provisorium okay ist, während draußen das Leben wartet. Am Ende ist es nur ein Gefühl, dass alles offen bleibt, weil niemand den letzten Schlüssel dreht. Die eigentliche Arbeit liegt in dem, was man nicht erledigt. Schnitte, die warten. Räume, die halb leer bleiben, weil noch zu viel Altes drinsteht. Irgendwann merkt man, dass man sich eingerichtet hat im Warten, dass kein neuer Anfang kommt, solange der letzte Schritt fehlt. Und dann sitzt man da, zwischen alten Kartons und dem Gedanken, dass das ja irgendwann noch geregelt wird. Nur irgendwann reicht’s nicht mehr und niemand lebt ewig. 

Montag, Oktober 20, 2025

loyalität.

Alte Geschichten, neue Rollen. Plötzlich steht jemand neben Dir und testet, wie stabil Dein Boden ist. Es geht selten um den Mann, fast nie um Liebe. Meistens um Bestätigung, Wert, Aufmerksamkeit. Wer sich selbst nicht genug ist, braucht den Blick von außen. Und manchmal reicht die eigene Bühne nicht mehr, dann wird beim anderen ausprobiert, ob da noch was zu holen ist. Das hat wenig mit Vertrauen zu tun und viel mit Angst, übersehen zu werden. Grenzen werden getestet, Loyalität steht auf dem Prüfstand. Wer bleibt, muss wissen, was es kostet. Und irgendwann entscheidet man: Freundschaft oder Frieden. Aber nie beides gleichzeitig.

alarmmodus.

Mein Körper weiß es vor mir. Nicht das Denken, nur die Sirene. Alles ruhig, sagt der Raum, aber innen läuft ein Protokoll. Herz im Alarmmodus, Haut als Sensor. Schweißgebadet. Die Luft zu scharf, die Stille zu laut. Kein Bild, keine Erinnerung, nur Mechanismus. Der Körper kennt Gefahren, die längst vergangen sind. Ich bleibe still, bis er versteht, dass nichts mehr brennt. Zähle meinen Atem wie Datenpunkte, warte, bis das Rauschen im Ohr nachlässt. Irgendwann wird es leiser. Nicht gut, nicht schlecht. Einfach weniger laut. Dann kann ich wieder schlafen, während irgendwo in mir jemand die Tür schließt und das Licht löscht.

Sonntag, Oktober 19, 2025

Zuhause

Manchmal ist das kein Ort, sondern ein Gefühl. Kein Dach, kein Schlüssel, kein fester Punkt auf der Landkarte. Sondern jemand, bei dem alles still wird. Da, wo kein Druck mehr ist, nichts erklärt werden muss. Wo Nähe nicht erst verhandelt, sondern einfach da ist. Man erkennt es daran, dass man nicht mehr sucht. Dass man ankommt, obwohl man nie wusste, dass man unterwegs war. Und wenn dieser Mensch „zu Hause“ sagt und eigentlich uns meint, dann versteht man leise, dass es zwar gerade erst beginnt. Nicht nur in Worten. Sondern in allem dazwischen. Und sich trotzdem schon nach viel länger anfühlt.

Freitag, Oktober 17, 2025

fragmente.

Zwei Felder, vermessen von Erinnerung und Widerstand. Keine Linie gerade, kein Verlauf berechenbar. und doch fließt alles ineinander, wie Wärme durch Metall. Ich war Länge, er war Takt. Aus meinen Fragmenten baute er keine Ordnung, sondern Atem. In seinen Sätzen war Raum, nicht Versprechen, eher die Möglichkeit, nicht mehr zu müssen. Wir sind kein Paar. Kein Muster, kein Modell. Sondern ein eigenes Gleichgewicht. Ein System aus gegenläufigen Strömungen, das sich selbst stabilisiert, weil wir beide wissen, was kippen heißt. Nähe ist Experiment, kein Fluchtpunkt. Ich lerne, dass Kontrolle nichts anderes ist als die schönste Form von Angst. Und er hat sie mir zurückgespiegelt, dass ich sie nicht mehr brauche. Wenn ich ihn ansehe, verliert der Raum kurz seine Schwerkraft. Nicht weil Liebe leicht wäre, sondern weil sie in diesem Moment keine Beweislast trägt. Und vielleicht ist genau das der Punkt, an dem man bleiben kann.

Mittwoch, Oktober 15, 2025

bestand.

In letzter Zeit merke ich, wie sich Dinge in mir verschieben, auch wenn nach außen alles gleich aussieht. Manche Routinen fühlen sich plötzlich fremd an, manche alten Sicherheiten tragen nicht mehr. Ich habe angefangen, mehr wegzulassen als dazu zupacken. Es geht nicht darum, alles neu zu machen, sondern leiser zu werden, klarer, vielleicht auch ehrlicher mit mir selbst. Veränderung fühlt sich selten an wie ein großer Schritt. Eher wie eine Reihe kleiner Entscheidungen, die man trifft, ohne sie groß auszusprechen. Was nicht mehr passt, bleibt zurück. Was bleibt, hat Bestand. Gerade reicht das.

Dienstag, Oktober 14, 2025

Buchstabenreserve.

Plan B ist der stille Zweitschlüssel unter der Fußmatte. Man legt ihn dort ab, falls man sich selbst aussperrt, und irgendwann vergisst, wie man eigentlich nach Hause kommt. Plan B riecht nach kaltem Rauch und aufgeschobenen Entscheidungen. Er steht in der Ecke, lehnt an der Wand, wartet auf den Moment, in dem Mut sich in Vorsicht verwandelt. Es ist eine Flucht auf Raten. Ein Rückzugsbunker, eingerichtet mit guten Argumenten und altem Misstrauen. Doch wer einen Plan B hat, bleibt nie bei Plan A. Er hält den Motor im Leerlauf, damit er nie stehenbleibt, und merkt nicht, dass Stillstand auch eine Richtung ist. Aus Plan B wird Plan C, dann D, und so weiter. Buchstabenreserven gegen den Absturz. 

Fluchtarchitektur, perfekt berechnet, statisch stabil, emotional gedämpft. Jede Ebene trägt die nächste, bis man vergisst, in welchem Stock man eigentlich wohnt. Sicherheit wird zum Labyrinth, gebaut aus Rückzugslogik und Restzweifel, mit Türen, die alle nach draußen führen. Pläne riechen nach Metall, nach laufenden Motoren, die nie losfahren. Wer immer Türen offenhält, steht nie wirklich im Raum. Irgendwann muss man den Schlüssel wegwerfen. Nicht aus Vertrauen. Sondern, weil man sonst ewig draußen bleibt. Plan A reicht. Alles andere ist Angst in schöner Verpackung. Loyalität ist kein Bonus.

Montag, Oktober 13, 2025

trotzdem.

Ich habe irgendwann aufgehört zu glauben, dass Menschen berechenbar sind. Das Leben hat mich gelehrt, jeder kann alles. Im Guten wie im Schlechten. Also rechne ich mit allem. Das schützt mich. Und es macht mich unbeeindruckbar. Wer jedem alles zutraut, wird selten überrascht. Man lässt nichts mehr wirklich nah ran, weil man innerlich schon weiß, wie’s ausgehen könnte. Es fühlt sich schlau an. Und sicher. Aber Sicherheit hat ihren Preis. Vertrauen passiert nicht automatisch. Es ist eine bewusste Entscheidung. Eine, die man trifft, obwohl der Körper noch weiß, wie es war, als alles zusammengefallen ist. Ich übe das. Nicht blind, nicht romantisch, einfach realistisch. Angst gehört dazu. Ich weiß, wie sich Enttäuschung anfühlt. Und trotzdem lasse ich es zu. Denn Kontrolle schafft keine Nähe. Und irgendwann reicht’s, alle im Voraus schuldig zu sprechen. Ich denke, genau das ist der Punkt. Vertrauen, obwohl man es besser wissen müsste. Nicht hoffen, dass jemand bleibt, sondern zulassen, dass es überhaupt möglich ist.

Freitag, Oktober 10, 2025

schweigen.

Manche Menschen gehen nicht weg, sie verschieben sich. Ein Stück zur Seite, ein paar Stunden, einen Tag. Gerade so weit, dass man sie nicht mehr greifen kann. Sie nennen es Raum, Zeit zur Selbstregulation. Distanz als eine Form von Selbstfürsorge. Und während sie das sagen, prüfen sie, ob Du bleibst, ob Du wartest, ob Du das Aushalten kannst. Es ist kein Bruch, nur ein leises Entziehen bis die Wut sich legt, fast unscheinbar, aber Du spürst es im ganzen Körper. Manchmal ist Schweigen lauter als jeder Streit.

Donnerstag, Oktober 09, 2025

häutung.

Es war, als hätte ich etwas in mir jahrzehntelang eingesperrt. Fest verschnürt, tief vergraben, gut bewacht. Abgekapselt. Weggeschnitten. Und dann, neulich Abends, saß ich da mit einer meiner engsten Freundinnen, und plötzlich war da kein Halten mehr. Die Worte kamen einfach. Mit ihnen die Tränen. So viele Jahre Scham, Wut, Schmerz. Alles, was ich geglaubt hatte, längst kontrolliert zu haben, stand auf einmal im Raum. Nackt. Ungefiltert. Und zum ersten Mal war da kein Urteil. Nur Stille. Wärme. Verständnis. Schmerz. Und Tränen. Sie nahm meine Hände und weinte einfach mit. Es war, als würde ich mich häuten. Schicht für Schicht fiel etwas Altes von mir ab, etwas, das nicht mehr zu mir gehört. Ich fühlte mich wund und roh und gleichzeitig freier als je zuvor.

Vielleicht ist Heilung genau das. Nicht ein großes Verzeihen oder Vergessen, sondern dieser stille Moment, in dem man sich selbst wieder spürt und einfach anfängt hinzuschauen, was es mit einem gemacht hat und was geblieben ist. 

Mittwoch, Oktober 08, 2025

anatomie.

Das feine Vermessen von Schmerz, Zentimeter für Zentimeter. Ein Wort zu viel und irgendwo tief im Körper zuckt etwas, das längst weiß, was hier passiert. Ein stilles Wissen darum, was trifft. Nichts davon ist Zufall. Es ist das Prüfen, wie weit sich Nähe dehnen lässt, bevor sie reißt. Ein stilles Experiment mit Herzfasern. Und während der andere noch lächelt, wird im Inneren längst gezählt, wie oft man sich selbst verschlucken kann, bevor man verschwindet.

Montag, Oktober 06, 2025

richtung.

Es gibt Begegnungen, die schleichen sich wie Echo ein. Kaum hörbar, aber sie bleiben. Zwei Menschen kreisen umeinander, wie Planeten mit eigenem Orbit, angezogen und doch vorsichtig, damit nichts kollidiert. Einer wagt Nähe, der andere zieht Linien in den Sand. Nicht aus Gleichgültigkeit, sondern aus Vorsicht. Weil das, was entstehen könnte, größer wirkt als das, was man kontrollieren kann. Zwischen ihnen nichts Lautes, nur ein stetiges Knistern, das nie ganz verschwindet. Man nennt es Abstand, dabei ist es ein Tanz. Ein Vor und Zurück, ein unmerkliches Ziehen unter der Haut. Zu früh, zu spät, zu nah, zu weit. Und irgendwann, ganz leise, ohne großes Zeichen kippt die Achse. Die Bewegung hört auf, das Muster bleibt stehen. Zwei Linien, die nie füreinander gedacht schienen, zeichnen plötzlich dieselbe Richtung. Kein Knall. Kein Feuerwerk. Nur ein stilles, unausweichliches "Jetzt“.

Sonntag, Oktober 05, 2025

entscheidung.

Liebe ist kein glattes Feld. Manchmal stolpert man über Kanten, die man selbst gelegt hat. Über Gedanken, die zu laut sind, Gefühle, die zu tief greifen und Mauern, die man längst hätte einreißen können. Es gibt Tage, da bin ich Sturm statt Wind, eine Welle, die zu hoch schlägt, ein Feuer, das zu nah kommt. Und trotzdem bleibst Du. Nicht, weil es leicht ist, sondern weil Du siehst, was bleibt, wenn der Sturm sich legt. Das ist keine Selbstverständlichkeit. Das ist Entscheidung. Jeden Tag. Und irgendwo dazwischen entsteht das, was man Liebe nennt. 

Samstag, Oktober 04, 2025

linien.

Manchmal laufen zwei Linien jahrelang nebeneinander, ohne sich zu berühren. Sie kreuzen Wege, verlieren sich aus dem Blick, ziehen ihre eigenen Kreise. Und irgendwann – viel später – merkt man, dass sie in die gleiche Richtung wollten.

Freitag, Oktober 03, 2025

hip hip hooray!

Die Untermieterin wird heute 14. In Worten: vierzehn! Keine Ahnung, wann das passiert ist. Gestern war ich doch noch schwanger und dieses Kind mit den wilden blonden Locken und der süßen Stimme lag plötzlich in meinen Armen. Ich erinnere mich, wie mir an diesem sonnigen Sonntagmorgen die Fruchtblase sprang und diese kleine Rakete es sich in letzter Sekunde anders überlegte, nochmal falsch herum drehte - und dann seelenruhig weiterschlief, anstatt beim Auszug aktiv mitzuwirken. Nach über 25 Stunden Wehen war ich kurz davor, wirklich alles hinzuschmeißen und lieber in eine Bar zu gehen und mir einfach einen Drink zu genehmigen. Dann war sie endlich da. Und ich einfach nur sehr erleichtert, dass diese Schmerzen vorbei waren.

Und jetzt? Jetzt ist sie ein Teenager. Sie nennt mich regelmäßig „Mutter“, wenn sie mich ärgern will. Benutzt neuerdings Wimperntusche, trägt bauchfreie Tops, stylt wirklich jedes Outfit und rollt die Augen, als wäre es ein Sport. Und trotzdem braucht sie noch so viel Liebe, Nähe und Rückversicherung, auch wenn sie sich manchmal schon ein bisschen zu cool dafür fühlt. Neulich in der Stadt erklärte sie mir mit ernster Miene, dass sie ab sofort meine Hand nicht mehr in der Öffentlichkeit nehmen könne, falls uns Kids aus der Schule begegnen. Meistens vergisst sie es aber schnell wieder und greift doch nach meiner Hand. Mal sehen, wie lange noch. Ich halte sie, solange ich darf.

Es ist verrückt, wenn ich sie anschaue und mich selbst in ihr sehe. Sie sieht aus wie ich in ihrem Alter – nur klüger, witziger, empathischer. Sie reift zu einer wunderbaren Persönlichkeit heran. Mein kleiner Nerd. Ich liebe unsere Gespräche, ihr Lachen, ihre Gedankengänge. Ich sehe, wie sie sich selbst findet, ihre Fähigkeiten begreift, wie sie mutiger wird, wie sie die Welt erobert. Und ich weiß, sie wird ihren Weg gehen.

Es ist schon wild, wenn ich auf den Weg zurückschaue, den wir gegangen sind die letzten Jahre. Ich habe mir so oft Sorgen gemacht, ob ich das alles allein schaffe. Ob sie heil bleibt. Ob wir heil bleiben. 7,5 Jahre nur wir zwei. Nächte voller Fragen, Tage voller Verantwortung. Und heute sehe ich uns und denke nur: „Verdammt, wir haben das richtig richtig gut gerockt.“ Wir sind so ein krasses Team. Und ja, unser Team ist ein Stück gewachsen dieses Jahr und selbst das läuft besser, als ich es mir hätte wünschen können. Es fühlt sich so natürlich an, als hätte es nie anders sein sollen. Wir sind einfach solche Glückskinder. 

Hip hip hooray, Du Rakete! 

Donnerstag, Oktober 02, 2025

momente.

Am Ende sind es nicht die großen Tage, die uns tragen. Es sind diese kleinen Augenblicke, die oft unbeachtet bleiben und doch alles ausmachen. Das gemeinsame Lachen, wenn etwas nicht so klappt, wie es soll. Ein kurzer Blick, der mehr sagt als tausend Worte. Der Moment, in dem eine Hand ganz selbstverständlich die andere findet. Das gemeinsame Abendessen bei gewöhnlichen Gesprächen, auch wenn es nur Pizza aus dem Karton ist. All das wirkt nach. Nicht, weil es besonders spektakulär ist, sondern weil es authentisch ist. Weil es zeigt, dass Nähe nicht in Feuerwerken liegt, sondern im Miteinander, das sich selbstverständlich und so normal anfühlt. Ein Gefühl von Zuhause entsteht nicht in Pracht, sondern in diesen scheinbar unscheinbaren Momenten, in denen man spürt: ich bin gesehen, ich bin gemeint, ich gehöre dazu.

projektionsfläche.

Ungerecht behandelt zu werden, tut weh. Vorwürfe schneiden am tiefsten, wenn man weiß, dass man loyal ist und das immer wieder gezeigt hat.

Es passiert schnell, dass man nicht mehr als Mensch gesehen wird, sondern als Projektionsfläche. Dann zählen nicht mehr die eigenen Worte oder Handlungen, sondern nur noch die Schatten der anderen. Unsicherheiten, Ängste, alte Geschichten. All das landet plötzlich bei einem, obwohl es gar nicht das Eigene ist. 

Samstag, September 27, 2025

protokoll.

Ich lag da. Und alles wurde stumm. Nicht leise, stumm. Kein Schrei, kein Flattern, nur das helle Summen hinter der Stirn. Das Flimmern in den Ohren, wenn Blut zu laut wird. Die Welt lief weiter. Ich nicht. Klebte zwischen zwei Atemzügen fest, die nichts mehr wollten. Hände ohne Auftrag. Haut ohne Grenze. Ich war nicht dabei. Nur noch ein Blick von außen auf etwas, das mal Ich war. 

Stillstand schmeckt nach Metall. Nach Raum ohne Wände. Kein Ja. Kein Ich. Kein Davor. Nur dieses Ausgeliehen-Sein. Entkoppelt. Entrückt. Der Körper wurde abgelegt, der Wille mit ihm. Die Zeit lief aus. Später dann: Protokoll. Lächeln wie ein Reflex. Schritte auf bekanntem Boden mit unbekannten Knochen. Haut wie Theaterstoff. Bewegungen auswendig gelernt. Der Schlaf meidet mich, wenn es dunkel wird. Weil der Körper mehr erinnert als der Kopf erlaubt. Dann flackert es unter dem Brustbein. Lautlos. Rückwärts. Ich tue dann, was man eben tut, zusammensetzen, richten, weitermachen. Man sieht es nicht. Man soll es nicht.

Manchmal, wenn es still wird, zu still, kriecht sie zurück die Ohnmacht. Ohne Bild, ohne Ton, aber mit Gewicht. Sie hockt im Zwerchfell, zieht die Schultern tief. Und dann weiß ich wieder, wie sich nichts anfühlt. Wie alles kippt, wenn niemand hält. Nur kurz.

Freitag, September 26, 2025

mut.

Mut ist selten laut. Kein Instagram-Motto. Mut ist nicht das große Auftreten, nicht die Show, nicht die große Geste. Mut zeigt sich im Kleinen. Wenn man bleibt, obwohl man weglaufen möchte. Wenn man ausspricht, was man eigentlich am liebsten verschweigen will. Wenn man die eigenen Schatten ansieht, anstatt sie noch eine Schublade tiefer zu drücken.

Mut ist auch, nicht immer stark sein zu müssen. Schwach zu wirken, zu stolpern, weinen, Fragen zu stellen, ohne Antworten zu haben. Das auszuhalten, braucht mehr Kraft als jeder Panzer. Mut heißt, die Kontrolle fallen zu lassen. Einen Schritt zu machen, ohne Netz, ohne Garantie. Nicht zu wissen, ob etwas gut geht, und es trotzdem zu wagen. In der Liebe. Im Job. Im Leben. Am Ende ist Mut kein Kampf gegen die Angst, sondern der Entschluss, trotz der Angst zu handeln.

Donnerstag, September 25, 2025

schritte.

Sie zählt Schritte, nicht Silben. Worte haben ihren Kurs verspielt – zu oft zu viel versprochen, zu selten eingelöst. Sie hört zu, ja, aber was hängen bleibt, sind die Lücken dazwischen. Die Pausen. Die Stille danach. Sie schaut nicht mehr darauf, was jemand sagt. Sondern wohin er sich bewegt, wenn es unbequem wird. Sie hat gelernt, dass man Nähe nicht sagen kann. Man muss sie gehen. Dass echte Absichten keine großen Erklärungen brauchen, sondern kleine Entscheidungen, die man sieht. Denn Sätze wiegen nichts, wenn sie keinen Boden unter den Füßen haben.

Mittwoch, September 24, 2025

brandmelder.

Sie geht durchs Leben, als würde sie die Brandmelder rausdrehen, während es längst brennt. Alles klappt hoch: Vergangenheit, Existenz, Liebe. Sie lacht darüber, weil Lachen leichter ist als schreien. Sarkasmus als Panzer, Witz ihr Messer. „Kein Problem“, sagt sie, wissend, dass genau da das Problem liegt.

Sie will Nähe, und sobald sie spürbar wird, stößt sie dagegen, testet die Festigkeit, so als müsste sie prüfen, ob sie trägt. Sie schickt Mittelfinger als Herz, Herzen als Fragezeichen. Ihre Eifersucht tarnt sie als Pointe, dabei ist sie der Beweis, dass ihr etwas verdammt wichtig ist. Ihre Narben trägt sie wie Glitzer, doch der Schnitt darunter bleibt sichtbar. Sie lacht laut, wenn es wehtut und stellt Fragen wie Scherze, deren Antworten mitten ins Herz treffen. Sie will Sicherheit und zündet genau im Moment, wo sie greifbar scheint, ein Feuerwerk aus Zweifeln.

Souverän, ironisch, unnahbar und heimlich hofft sie, dass jemand bleibt, wenn die Show vorbei ist. Dass jemand den Schnitt sieht, nicht nur den Glitzer. Dass jemand sie aushält, roh, kryptisch, widersprüchlich. Unbequem. Die andere Seite ist weich, liebevoll, verletzlich, verbindlich. Sie will ankommen, nicht ständig kämpfen. Die Härte schützt die Weichheit, die Weichheit macht die Härte erträglich. Sie ist nicht entweder-oder. Sie ist all das auf einmal. 

gleichzeitigkeit.

Es ist, als würde das Leben alle Schubladen gleichzeitig aufreißen. Dinge, die jahrelang sorgfältig verschlossen waren, fliegen hoch. Das, was verdrängt wurde, kracht zurück ins Bewusstsein wie ein Schlag. Und während die Vergangenheit schreit, drückt die Gegenwart von allen Seiten. Schonungslos. 

Sonntag, September 21, 2025

ego.

Wenn nichts bleibt, wird Lärm zum letzten Halt. Man wirft Schatten auf Wände, in der Hoffnung, jemand glaubt, es sei Substanz. Nährt sich vom Widerhall, nicht vom Wort. Und wenn das Echo ausbleibt, schreit das Ich in Bildern, die keiner mehr sieht. Kein Spiegel, kein Halt, nur das Flackern eines Egos, das sich selbst nicht halten kann.

Donnerstag, September 18, 2025

reflexe.

Manche Schnitte bluten nicht mehr. Aber sie schreiben weiter. Unter der Haut. In den Reflexen. Im Zucken vor der Berührung. In der Pause, bevor man antwortet. Es sind nicht die Narben, die schreien. Es ist das Echo der Stelle, an der man damals beschlossen hat, nie wieder weich zu sein. Man hat gelernt, Türen zuzuhalten. Und dann steht da einer, der nicht drückt. Und plötzlich spannt alles dagegen.

Montag, September 15, 2025

bewegung.

Einige Wege beginnen nicht mit einem Schritt, sondern mit dem Innehalten. Mit dem Moment, in dem man nicht mehr wegschaut. Bewegung ist selten laut. Sie raschelt. Schiebt sich durch Gedanken, legt sich unter die Haut, verlagert Gewichte. Und plötzlich rücken Dinge zurecht, die sehr lange schief standen. Man tut nichts und tut alles. Es ist kein Rennen. Kein Sprint. Kein „jetzt oder nie“. Es ist das leise Neigen der Richtung. Das Auflösen von Ausreden. Das Erkennen, dass Stillstand vielleicht temporär bequemer, aber nicht wahr ist. Man verwechselt Stille mit Gleichgültigkeit. Warten mit Bequemlichkeit. Und das Nicht-in-die-Gänge-kommen mit einem „Will nicht“. Dabei brodelt es längst.

Bewegung beginnt oft dort, wo man sie nicht sieht. Wenn der innere Kompass zittert. Wenn jeder Schritt wie ein Verrat an der alten Ordnung wirkt. Wenn das Neue ruft, aber das Alte noch zu laut ist, um es zu ignorieren. Manchmal ist Nicht-Handeln das Ergebnis von zu viel. Nicht zu wenig. Zu viele Stimmen, zu viele Erwartungen, zu viele verknotete Erinnerungen. Und doch: Es bewegt sich. Langsam. Leise. Vorwärts.

Montag, September 08, 2025

frost.

Es gibt Tage, da fühlt sich Verantwortung an wie eine alte, vertraute, viel zu schwere Jacke. Sie zieht sie morgens an, weil sie nicht weiß, wie sie ohne sie das Haus verlassen soll. Man gewöhnt sich an das Gewicht, bis man den Unterschied kaum noch spürt. Nur nachts, wenn alles leise wird und niemand hinsieht. Die Luft ist kühl. Draußen schläft die Stadt, drinnen tobt das Denken. Die Gedanken kreisen im Raum, bodenlos und ohne Namen. Es wäre so leicht, einfach zu verschwinden. Aber da ist jemand, für den man bleibt. Ein Herz, das nicht nur das eigene ist. Das Leben ist ein geputztes Glas, randvoll mit Pflichten, feine Risse, die niemand sieht. Sie übt das Schweigen, lächelt sich durch alle Fragen, hält alles zusammen, hält alles aus. Manchmal glaubt sie, der Frost im Herzen sei das Einzige, was sie schützt. Sie zählt die Atemzüge, einen nach dem anderen, leise, zäh. Man nennt das wohl Stärke. Sie nennt es Überwintern. Vielleicht ist der größte Mut, zu bleiben, zu atmen, zu warten, bis die Tür irgendwann wieder zufällt und die Kälte langsam auszieht.

Sonntag, September 07, 2025

alte muster.

Sie trägt ihre Rüstung aus Selbstbeherrschung und schweigt, macht alles mit sich allein aus, während das Herz leise und wild tobt. Manchmal ist ihre größte Kunst, dass niemand merkt, wie müde sie eigentlich ist. Sie lächelt höflich. Man nennt das wohl Stärke. Da sind sie - die alten Muster. Willkommen zurück!

Dienstag, September 02, 2025

pommes und wein.

Gestern: Pommes & Wein. Ich liebe alles daran.
 
Jetzt, ein paar Monate später, gehst Du mit ihm an dieser einen Stelle vorbei, und plötzlich ist da eine Geschichte, die weitergeht. Dieses - weißt Du noch, wie wir da standen und beide dachten, "Das war’s. Den/ Die sehe ich höchstwahrscheinlich nie wieder.", als jeder in seine Richtung ging? Ich glaube, wir haben damals beide nicht geahnt, dass dieser eine letzte Kuss eigentlich der erste war. Manchmal ist das Leben einfach so viel besser als jede Theorie.

Samstag, August 30, 2025

spiegel.

Wer sagt, er hätte keine Angst vor der eigenen Medizin, hat sie noch nie geschluckt. Wir drehen das Bild um, drehen es weiter, bis beide Seiten gleich scharf sind. Nicht aus Bosheit oder Vergeltung. Nur aus Sehnsucht nach Gleichstand. Ich will nicht gewinnen. Nur, dass keiner verliert.

Freitag, August 29, 2025

handstand.

Manchmal wünsche ich mir, ich könnte all die unsichtbaren Protokolle des Alltags einfach an die Tür hängen, wie eine Quittung. Es gibt diese Tage, an denen ich das Gefühl habe, mein Leben bestünde aus Zwischenräumen. Zwischen Schultür, Firma und Zahnarzt. Zwischen Bergen aus Wäsche oder Pappe, Listen, Gesprächen, Hausaufgaben, Klassenarbeiten, Pubertätskrisen, dem Lachen, endlosen kleinen To-dos, den Nerven und der Liebe. Die Gedanken, wie man alles zusammenhält.

Niemand sieht, wie viele Kilometer man innerlich läuft, bevor überhaupt jemand klingelt. Manchmal rede ich mit einer Wand, manchmal mit dem Universum, meistens mit mir selbst. Ich kenne alle Abläufe, die Abkürzungen und Umwege, habe einen geheimen Masterplan für jedes Chaos. Zeit vergeht, Kinder werden älter, Gewohnheiten laufen mit - auf Zehenspitzen. Es sieht von außen aus wie Alltag. Es fühlt sich regelmäßig wie ein Handstand auf nassem Grund an. Ich bin zwischen Routinen und Revolutionen. Es gibt keine Pointe, keinen Applaus. Nur diesen kleinen Moment, wenn ich merke, dass ich mich selbst nicht verliere, während ich halte, was gehalten werden muss.

Nicht mehr. Und nicht weniger. Es geht nicht um Heldenmut oder Opferrolle. Sondern um Ehrlichkeit. Die Müdigkeit, die bleibt.

Donnerstag, August 28, 2025

wachstum.

Es gibt Tage, da ist Mut nichts Lautes, nichts, was in den Raum poltert und mit der Faust auf den Tisch haut. Mut ist sehr oft leise, duckt sich in den Zwischenraum zwischen Angst und dem nächsten Schritt. Wächst wie Unkraut durch den Asphalt, ungewollt und trotzdem da. Es ist nicht die große Geste, sondern dieses schmale Zucken in der Magengegend, kurz bevor Du etwas tust, was Du noch nie getan hast.

Wachstum fühlt sich selten an wie Fortschritt. Es brennt, dehnt sich, macht Dich klein, bevor es Dich wachsen lässt. Am Anfang sieht man nichts, außer Zweifel und diesen albernen Reflex, zurück zu wollen in das, was sicher war, selbst wenn es schon längst zu eng geworden ist. Alte Haut, alter Trott, alles bekannt, alles bequem. Mut bedeutet, das alles trotzdem zu sprengen. Wachsen heißt, den eigenen Schatten nicht mehr als Warnung zu nehmen, sondern als Beweis, dass da Licht ist. Mutig sein heißt, immer wieder aufzustehen, auch wenn man keine Garantie auf ein Happy End hat. Es ist die Bereitschaft, mit Schrammen weiterzugehen und aus ihnen Wurzeln zu machen.

Niemand feiert, wie langsam das wirklich ist, dieses innere Nach-vorne-Schieben. Niemand klatscht Applaus, wenn Du Dich einfach nicht unterkriegen lässt. Aber irgendwann drehst Du Dich um und siehst, was Du alles hinter Dir gelassen hast. Dann bist Du plötzlich nicht mehr die, die Angst hatte, sondern die, die losgegangen ist. Und irgendwo zwischen Loslaufen und Ankommen liegt der eigentliche Mut. Nicht alles wissen müssen, aber trotzdem weitergehen. Egal wie wild der Boden schwankt. Egal, wie oft Du stolperst. Weil Wachstum nie bequem ist.

Dienstag, August 26, 2025

orbit.

Manchmal ist es ganz einfach. Ich mag genau das, was ist. Ich spüre ihn, alles an ihm, und jedes Wiedersehen fühlt sich wie Heimkommen an. Dann wird alles innen drinnen ganz ruhig. Dieses Mal war das Vermissen körperlich, hat sich in meine Haut gelegt. Ich will nicht nochmal so lange ohne ihn sein, das weiß ich jetzt. Und dann sitzen wir zu dritt am Tisch. Und die Untermieterin und der Mann reden über Planeten und schwarze Löcher, und ich lehne mich zurück und merke, wie normal es sich anfühlt, wie leicht. Ich liebe alles daran. Dass wir über einen gemeinsamen Urlaub sprechen. Dass meine Tochter ihn mag, weil er sie ernst nimmt und Fragen stellt, weil sie zusammen Quatsch machen und gleichzeitig ernsthaft sinnieren können. Das ist für mich das größte Geschenk. Das Glück ist gar nicht laut, sondern leise, schleicht sich in die Routinen, in die Gespräche, in das gemeinsame Lachen und Pläne machen. Ich will mehr davon. Genau so.

Montag, August 25, 2025

wild.

Es ist verrückt und wild, wie viel ein einzelner Tag manchmal tragen kann. Es gibt diese Sekunden, da fühlt sich alles zu viel an. Du bist richtig traurig, weil ein kleiner haariger Freund plötzlich in Deinen Armen stirbt und nicht mehr da ist. Und vorher triffst Du spontan den Mann, der plötzlich wirklich da ist. „Kiss & Drive“, alles in einer Bewegung. Zwischen Abschied und dieser festen Umarmung, die alles ein bisschen leichter macht. Die Hände leer, das Herz voll.

Freitag, August 22, 2025

fundament.

Manchmal fühlt es sich an, als würde ich zwischen all dem Lärm plötzlich für Sekunden durchsichtige Haut haben. Alles kommt rein. Alles bleibt kleben. Nichts lässt sich abwaschen. Es ist, als würde ich nachts mit offenen Wunden schlafen und morgens mit neuen Narben aufwachen, von denen niemand weiß. Lose Schrauben im Kopf. Ich, die nie wusste, ob sie reicht, aber immer schon zu viel gefühlt hat. Ich bin nicht sicher, ob ich einfach gelernt habe, nicht mehr so oft nach unten zu schauen. Es ruckelt noch hin und wieder. Alte Zweifel nisten in den Winkeln, wie kleine Tiere, die sich in den Ritzen verkriechen. Wir haben das Fundament nicht gegossen, wir haben es freigelegt, Schicht um Schicht. Alte Geschichten, alte Schmerzen, neue Angst. Und trotzdem, da ist diese Richtung, in die es uns zieht. Nach vorne, zusammen.

Kein Sicherheitsnetz, kein doppelter Boden. Nur zwei, die langsam begreifen, dass Zuhause vielleicht genau das ist: Sich ineinander ausruhen, auch wenn alles andere tobt. Ich will morgens aufwachen und Dich riechen, will Dir zusehen, wie Du kämpfst - gegen alte Muster, gegen diese kleine Stimme im Kopf, die sagt, Du könntest niemals reichen. Aber Du bist da. Und ich – ich bin auch noch da. Vielleicht reicht das.

Donnerstag, August 21, 2025

17Jahre.

17Jahre und es fühlt sich an wie gestern.

Manche Zahlen sind einfach nur Mathe. 17 Jahre, 204 Monate, 6.209 Tage, über fünfzehn Millionen Minuten, in denen sich die Erde einfach weitergedreht hat. Unverschämt eigentlich. So lange schon. Und trotzdem gibt es Momente, da liegt der Schmerz direkt unter der Haut, als hätte ich erst gestern meine Hände auf diese kleinen kalten Händchen gelegt.

Es ist absurd, wie der Alltag weiterflimmert. Windspiele, Vögel, blauer Himmel. Als ob Normalität eine Frage von Licht und Jahreszeiten wäre. Im Kopf läuft aber noch immer dieser alte Film: Der Schock, das Nicht-Begreifen, das Wort “tot” auf Papier, das auch rückwärts nichts anderes wird. Türen, die einfach zufallen. Fenster, die verschlossen bleiben. Eine Luft zum Atmen, die manchmal zu dick, manchmal zu dünn ist. Die Welt will Erklärungen, aber manchmal gibt es keine. Man sitzt da, zählt die Minuten und denkt an Pausbacken und den perfekten, so vertrauten Geruch, der geblieben ist, als alles andere schon weg war. Man denkt an das Leben, das da war und an das, das hätte sein sollen. Es gibt keine Kompensation für verlorene Zukunft, keine Reparatur für eine Endgültigkeit, die alles zerschneidet. Die Brutalität, mit der das Leben einen rausreißt, das kann man nicht abnutzen. Das bleibt.

Ich weiß nicht, ob es tröstet, dass der Schmerz weicher wird. Oder ob es eher erschreckt, dass er nicht vergeht, sondern einfach leiser, tiefer, unmerklich seine Richtung ändert. Und dann gibt es diese Bank, dieses Grab, diese Windmühle, die Du immer wieder gerade rückst, als würdest Du damit irgendetwas wieder ins Lot bringen wollen. Es klappt nicht. Die Erde dreht sich weiter. Und vielleicht, nur vielleicht, sind die Sekunden, die sie braucht, ein kleiner Beweis dafür, dass es noch irgendwas gibt, das bleibt.

Happy Birthday, Leni! Ich denke an Dich. 

Dienstag, August 19, 2025

strudel.

Manchmal ist es wie ein Strudel, der einen ins offene Meer zieht. Da bricht das alte Leben auf, das Neue stürmt herein, alles gleichzeitig. Und dann fehlt plötzlich besonders der Mensch, der immer wusste, wie man gegen den Strom schwimmt. Dann wünscht man sich eine Umarmung, die einen festhält, die alles erdet, was zu groß, zu laut und überraschend schnell geworden ist. Aber irgendwo in all dem Wirbel ist da dieser Punkt, an dem klar wird: Ich gehöre genau hierher, in dieses neue, wilde Leben. Und meine Oma, die fehlt gerade so unheimlich, die lacht irgendwo – ganz sicher – und sagt: "Mach das, Kind! Das ist jetzt Deins."

Montag, August 18, 2025

achillesferse.

Die Untermieterin hat eine Playlist mit dem Titel "If i die, play this!" - gerade entdeckt. 

Sie ist meine Achillesferse. Es gibt Gedanken, die sind wie Glasscherben, die sich einfach nicht aus dem Kopf fischen lassen. Ich würde sterben. Punkt. Diese eine klare Linie, die alles definiert. Vielleicht ist das die dünnste aller Eisschichten, auf denen ich laufe, seit ich Mutter bin. Der Gedanke, wie fragil alles ist. Was dann bleibt, ist kein Trost, keine Philosophie. Nur Atem holen, weitergehen, immer in Bewegung bleiben, weil Stillstand sonst alles überschwemmt. Und manchmal, an Tagen, an denen alles zu viel ist, an denen die Angst größer ist als das Leben, bleibt nur der Griff nach der Hand, die da ist. Weil alles andere sonst alles wäre. Das ist die Sollbruchstelle im System.

Sonntag, August 17, 2025

koordinaten.

Manchmal ist es einfach nur ein Schieben der tektonischen Platten. Nichts, was kracht, kein Beben, das die Welt zum Stehen bringt. Eher dieses leise, schwer greifbare Verschieben unter der Oberfläche. Ein langsames, fast unmerkliches Verrücken der alten Koordinaten, so, dass irgendwann das ganze Kartenmaterial nicht mehr stimmt. Was vorher war, taugt nicht mehr als Maßstab, nicht mal die Wörter lassen sich recyclen. Und plötzlich ist da dieser leise, kaum wahrnehmbare Punkt, an dem Du spürst, dass Du nicht mehr zurückwillst. Kein großer Knall. Aber alles ist anders. Und das reicht schon.

Mittwoch, August 13, 2025

innere freiheit.

Es war nie Gleichgültigkeit. Ich halte nichts fest, nicht weil es mir egal ist, sondern weil meine Hände frei bleiben sollen. Ich habe im Laufe der vergangenen Jahre gelernt, Wer bleiben will, bleibt. Wer gehen will, geht. Ich laufe nicht mehr hinterher. Ich verharre nicht. Ich erzwinge nichts. Die Klarheit kam nicht plötzlich, sondern in kleinen, stillen Momenten, in denen der Kopf ruhig wurde und ich sehen konnte, was ich längst wusste. Und den Weg, den ich dafür gegangen bin.

Ich bin nicht aus Glas. Nicht mehr. Ich breche nicht. Ich atme leichter, seit ich nichts und niemanden kontrollieren muss. Es gibt keine Fesseln, außer denen, die ich mir selbst umgelegt habe. Keine Schuld, kein Mangel, nur das bewusste Wählen von Nähe. Ich wähle. Ich entscheide. Ich bleibe bei mir.

Freiheit schreit nicht. Sie sitzt da. Neben mir. Und sie weiß, ich gehöre zuerst mir.

Montag, August 11, 2025

freiheit.

Ich atme Salz. Nicht, weil das Meer so nah ist, sondern weil etwas in mir den Nebel zerschnitten hat. Kein Sturm, keine Welle, nur Ruhe. Kein Drängen, kein Ziehen. Nur der Wind, der alles ein wenig durcheinander bringt. Ich sehe klarer, wenn nichts laut ist. Plötzlich ist Platz im Kopf, und dieser Platz fühlt sich an wie Freiheit. Die Kälte ist kein Feind, sie ist der Spiegel. Glatt, gnadenlos, einladend. Manchmal will ich mich hineinlegen, um zu sehen, wie lange ich atmen kann, bevor es schmerzt. Doch ich bleibe barfuß im Sand. Schmerz ist längst kein Gegner mehr, er ist meine Landkarte. Eine, die mich nicht zurückhält, sondern rausführt. Vielleicht sortiert sich alles, wenn man einfach stehenbleibt und nicht sofort wieder losrennt. Wenn man den Horizont lange genug anschaut, bis man spürt, dass man selbst Teil davon ist. Vielleicht reicht es, kurz nichts zu müssen. Der Rest… kommt schon. Irgendwie.

Dienstag, August 05, 2025

herzlinie.

Als würde man einmal kurz oben auf die Balustrade klettern, während es links und rechts ziemlich weit runter geht. Manchmal hast Du keine Seile, keinen Gurt, manchmal legst Du die Schuhe ab und damit auch die Bänder, die Gebundenheit, das, was zieht, wenn sich einer von beiden bewegt. Manchmal lässt man den Faden liegen, weil er nicht reicht. Weil er nicht reichen würde für die Schritte, die man gehen muss, und man weiß, dass es immer ein schlimmes Geräusch macht, wenn etwas reißt, weil man so sehr zieht, dass es nicht mehr geht ohne Materialbruch zu erleiden, ohne zu splittern. Man könnte das wagen, den Kraftakt, man könnte dann mit einem ausgefransten Stück Faden weitergehen und gucken und dieses Stück Faden als Alibi benutzen, als Ausrede und als blöden Geist, aber am Ende umarmt man auch dann nur ein Kissen.

Den Faden liegen lassen, bevor er kaputt geht. Sich merken, wo und nach einer Zeit schauen, ob er noch da ist oder ob Witterung schneller war und ihn angefressen hat. Gehen und sich dann erst einmal nicht mehr umdrehen, auch wenn es ein komisches Gefühl ist. Weil Tasche und Faust und Nacken und der Fußraum im Bett so leer sind und man jetzt die Fingernägel in der Handfläche spürt, weil sie jetzt die Lebenslinie berühren seit langer Zeit mal wieder, und die Herzlinie, nur die eigenen Finger in der eigenen Hand. Die Zimmermänner dürfen sich auch nicht umdrehen am Anfang, wenn sie auf Wanderschaft gehen und ihren Heimatort verlassen, man läuft dann eben geradeaus und weiß gar nicht, ob einem nachgeschaut wird, ob da noch jemand steht, weil wenn man sich umdreht und dann ist niemand mehr dort, wird es schwierig, nicht das Gleichgewicht zu verlieren.

Als würde man sich einmal kurz oben auf die Balustrade stellen jetzt, während der Blick vor einem ziemlich weit ist und man gar nicht weiß, wo man anfangen soll hinzusehen, weil sich plötzlich alles bewegt vor einem und in einem. Mitunter wird einem ein bisschen schummerig, weil das lange nicht so war, ganz ohne Geländer und Ränder und Rahmen und in jede Richtung möglich. Wie man sich selbst erst einmal neu justieren muss, Einstellungen vornehmen, gucken, wie man jetzt funktioniert, wie man am Besten auch hier oben auf einem Bein steht ohne umzufallen. Sich einen Schirm kaufen, einen kleinen nur, aber einen Schirm und dann vielleicht hin und wieder für jemanden gehalten werden, der vom Zirkus kommt. Ach meine Güte, wen kümmert das? Das ist keine Choreographie hier oben. Das ist alles andere als ausgedacht, das ist alles, was ich habe.

Und irgendwo im Rücken liegen Fäden herum, ich habe mir eine Karte gemalt, die ist in der Tasche, dort ist es nicht leer, dort kommen bald noch ein paar Kastanien hinzu. Und der Rest ist Orientierung im Raum. Vögel spüren die Luftkräfte an den Federn, weißt Du, und wir, wir haben nur unsere Haut. Deswegen muss man sich in den Wind stellen, oben, ganz weit nach oben direkt hinein. 

Mittwoch, Juli 30, 2025

liebe.

Reife Liebe manipuliert nicht. Sie spielt kein Theater, stellt keine Fallen, verlangt keine Beweise. Sie lässt frei, was sie halten will. Sie fragt nicht ständig, ob sie genügt. Sie wächst leise. Sie lässt atmen. Sie kontrolliert nicht, sondern vertraut. Und wenn Angst kommt, wird sie gezeigt, nicht versteckt. Sie berührt nicht nur den Körper, sondern den Kern. Und hat keine Angst vor Dunkelheit. Da ist kein Ziehen, kein Drängen. Nur ein Sich-Zeigen. Auf Augenhöhe. Roh, verletzlich, mutig. Sie macht nicht kleiner, sondern größer und weiter. Und sie bleibt, weil sie will, nicht weil sie muss. Sie trägt Dich, wenn nichts anderes mehr hält.

Donnerstag, Juli 24, 2025

systemkoppelung.

Zwei Systeme. Eigenfrequenzen, komplex verschaltet. Kein Aufprall, kein Widerstand. Nur Verbindung, stille Kopplung. Keine Masken, keine Oberfläche. Rohsignale im Austausch. Nervenschaltungen, die einst nur reagierten, kalibrieren neu: auf Halten. Kein Sollen, kein Müssen. Nur ein bewusstes Bleiben.

Zwei Systeme in Echtzeit. Offen. Roh. Klar. Ein Gleichklang, der nicht sucht, sondern trägt. Weil das System sich längst leise selbst justiert und austariert.

Mittwoch, Juli 23, 2025

splitter.

Es war, als hätte jemand den Ton aus der Welt genommen. Alles lief weiter, aber ohne Klang. Kein Echo, kein Herzschlag, keine Kontur. Etwas bleibt. Wie Dunst in den Rippen. Lautlos. Schwer. Die Luft riecht nach damals, manchmal. Undefiniert. Plötzlich. Körper reagieren schneller als Gedanken. Ein Flimmern unter der Haut, das nicht fragt, nur meldet. Stillstand im Innern, während alles weiterläuft. Lächeln als Tarnung, Schlaf als Verhandlung. Die Nacht ist nie bloß dunkel. Manchmal liegt da etwas im Raum, das keinen Namen trägt. Es atmet mit. Sitzt still in der Ecke. Bewegt sich nicht. Und bleibt doch. Ein Schatten, der nicht verzieht, auch wenn das Licht angeht. Zieht Linien in Nerven, die längst vergessen wollten. Man funktioniert, meistens sogar sehr gut. Der Körper spricht weiter, obwohl man längst verstummt ist. Da ist kein Vertrauen, nur Taktik. Kein Hunger, nur Beweis. Irgendwann wird selbst der Schmerz still. Nur das Herz stolpert manchmal noch.

Ich habe mich verteilt, gestreut, hingelegt wie ein offenes Messer. Nicht um zu lieben. Sondern um nicht zu ersticken. Und trotzdem ein Teil blieb. Tief unten. Verbissen, wild, unzerstört. Der wollte fühlen. Lieben. Spüren. Der wollte sich zurückreißen, Stück für Stück, aus dieser tauben Haut. Der Weg zurück war kein Weg. Eher ein Stürzen. Man lernte nicht zu fühlen, man kämpfte darum. Gegen den Widerstand im eigenen Nervensystem. Man hat sich längst selbst eingesammelt, in Bruchstücken und neu zusammengesetzt. Doch dazwischen: Splitter.

Montag, Juli 21, 2025

archiv.

Ich hätte etwas schicken können. Hätte sogar was Witziges gehabt, pointiert, klug, mit doppeltem Boden. Hätte sitzen können. Vielleicht sogar Wirkung hinterlassen. Aber ich hab’s gelassen, weil es nichts verändert hätte, außer der Atmosphäre. Kälte, wo’s gerade warm war.

Es ist leicht, scharf zu sein, wenn man gerade klar sieht. Aber ich lerne, auch Klarheit ist kein Freifahrtschein. Manchmal ist sie einfach nur still. Erkenntnis ohne Sendeknopf. Ich hab’s wiederentdeckt, gelesen, verstanden, geschmunzelt. Und dann da gelassen, wo es hingehört: bei mir. Nicht alles, was man sagen könnte, muss gesagt werden. Manchmal reicht es, zu wissen, dass man es könnte. Und nicht muss.

Sonntag, Juli 20, 2025

muster.

Alte Muster sind wie schlechte Ex-Beziehungen. Man weiß, dass sie vorbei sind, aber sie tun so, als hätten sie Hausrecht. Sie gehen nicht, weil man es will. Sie kleben. Man merkt erst, wie tief sie sitzen, wenn man etwas anderes versucht. Nähe zum Beispiel. Oder Ruhe. Dann kommen sie, wie ein Reflex. Kontrollieren, zurückziehen, ausweichen. Wer Gefühle will, soll sich halt durch mein inneres Minenfeld navigieren. Aber mit verbundenen Augen und ohne Karte. Es ist so so anstrengend, sie nicht zu bedienen.

Muster sterben nicht leise. Sie kommen zurück, wenn Du Dich veränderst. Wenn Du weich wirst. Wenn Du bleibst, wo du früher gegangen wärst. Oder wenn Du Dich plötzlich heftig verliebst und auf einmal so unfassbar intensiv fühlst, wie Du es vorher noch nie konntest. Dann flippen sie aus. Sie rebellieren, sabotieren, sie klammern sich an die Türklinke. Sie sagen Sätze wie: „Was, wenn Du Dich irrst?", „Was, wenn Du wieder verletzt wirst?“ Oder mein Favorit: „Bleib besser hier. Hier kennst Du Dich wenigstens aus.“ Aber irgendwann merkt man, dass sie nicht mehr passen. Und das ist die Stelle, an der man loslässt und springt.

Donnerstag, Juli 17, 2025

trauma.

Trauma werden im Körper gespeichert. Ganz tief eingebrannt im emotionalen Gedächtnis. Mein System hat damals gelernt: Etwas, das ich liebe, kann mir von einer Sekunde auf die andere genommen werden. In einem einzigen Wimpernschlag. Diese Erfahrung prägt, oft unbewusst und ich merke jetzt plötzlich, sie wird genau dann wieder spürbar, wenn man erneut liebt. Wenn es wieder wichtig wird. Wenn man wieder etwas zu verlieren hat. Es ist nicht irrational. Es ist Erinnerung.

Und gerade ist da der tiefe Wunsch, etwas festzuhalten. Aber ich kann verdammt nochmal nichts festhalten, niemand kann das. Was bleibt, ist das Jetzt. 
Und die Entscheidung. Ich will ihn behalten. Fürs Jetzt. Für später. Für alles.

Mittwoch, Juli 16, 2025

monster.

Du liegst neben mir. Es ist schon spät. Dein Arm unter meinem Kopf, Deine Hand folgt meinen Konturen in der Dunkelheit. Ich schaue an die Wand vor mir. Wie blau sie ist, so blau wie ich mir das Wasser vorstelle, dass einsame Inseln irgendwo im Pazifik umspült. Immer und immer wieder Wellen bildet und eine so wunderbare Ruhe ausstrahlt. Meine Hände ruhen auf seiner Brust, genau über seinem Herz. Es pocht stark.

Eingenistet hat er sich dort, der Schmerz, als wenn ich ihm gehören würde, wie ein alter Bekannter. Vielleicht ist er gar nicht alleine. Vielleicht hat er Gleichgesinnte gefunden und sie alle zu mir mitgenommen. Manchmal stelle ich sie mir vor wie kleine schwarze Ungeheuer. Die Sorte, die einen beim ersten Mal ungeheuerlich erschreckt. Aber nach und nach gewöhnt man sich an ihren Anblick, irgendwann gehören sie irgendwie dazu. Sie schlafen oft, in ihrer Höhle in meiner Brust. Tagelang, manchmal sogar Wochen. Aber ihr Schlaf ist leicht. Es reicht schon der Signalton meines Handys und sie spitzen die Ohren.

Und schon ist einer von ihnen wach, fängt an zu nagen, an mir. In mir. Die anderen gesellen sich zu ihm, schicken Gedanken und Erinnerungen in meinen Kopf. Schuldgefühle, Reue. So viele Dinge, die mir in den Kopf steigen, dass die Tränen manchmal von ganz alleine herausgedrückt werden. Ich liege auf der Seite, schaue seinen Rücken an. Seinen makellosen Rücken, ganz ohne Kratzer. Male Muster nach, als wäre er die Leinwand für meine Gedanken. Er schläft schon, atmet gleichmässig, friedlich. Langsam rutsche ich näher an ihn ran, lege meinen Arm um ihn und verberge mein Gesicht in seinem Nacken.

Die kleinen Monster in mir fauchen. Sie mögen seine Wärme nicht, seine Hände, die sich nun in meine falten. Sie mögen es nicht, dass er sie taub macht. Langsam vergesse ich sie und das Zwicken in meinem Brustkorb. Ich konzentriere mich nur noch auf ihn, sein leises Schnarchen, die Wärme seiner Haut. 

Ich drifte davon, auf eine Insel im Pazifik, wo uns blaue Wellen umspülen. Blaue Wellen und absolute Ruhe.

Donnerstag, Juli 10, 2025

zu spät.

Wir sagen es so leicht, schieben es vor uns her, vertrösten uns mit „bald“ und „vielleicht“. Doch das Leben hat keinen Kalender für unsere Pläne. Es fragt nicht, ob wir schon so weit sind. Und manchmal ist das Leben schneller vorbei, als wir es begreifen können. Eben noch voller Pläne, voller Energie, voller „Ich will noch...“ und dann ist da plötzlich nichts mehr. Kein nächstes Mal. Kein Gespräch mehr. Kein später. Kein nächste Woche. Jetzt ist da Stille. Was bleibt, ist ein Nachklang. Und die Erinnerung, dass nichts sicher ist, außer dem, was wir heute tun. Irgendwann ist irgendwann zu spät. Immer. 

Montag, Juli 07, 2025

kindheit.

Krass, heute ist mein Geburtstag und es ist das allererste Mal, dass ein Anruf fehlen wird. Kein vertrautes „Na, mein Kind“ am frühen Morgen, kein liebevoller, manchmal holpriger Gesang durchs Telefon. Ich wusste, dass dieser Moment irgendwann kommen würde. Aber heute ist er da und es fühlt sich leer an. Sehr Traurig. Still. Und in mir bricht etwas auf, das ich kaum halten kann. Es fühlt sich an wie das letzte Stück Kindheit, das leise verschwindet.

Und doch ist da auch etwas anderes: jemand Neues tritt an meine Seite. Mit ihm entsteht gerade etwas, das mich wirklich tief berührt, bewegt, aufwühlt und ziemlich sehr doll glücklich macht. Es ist ein seltsames Gefühl, beides gleichzeitig zu tragen: den Abschied und den Anfang. Das Fehlen und das langsame Ankommen. Aber vielleicht ist genau das Leben.

Freitag, Juli 04, 2025

0,1 Prozent.

Ich kann aufgeben, resignieren. Den Schalter umlegen, nichts mehr spüren, still sein. Mich einrollen ins Vertraute, abstumpfen, verlaufen. Oder ich lasse es zu. Das Zittern. Das Fühlen. Das Wieder-Aufmachen. Ich kann mich verstecken hinter Vernunft, Chancen vorbeiziehen lassen wie verspätete Züge, und innerlich Beifall klatschen für das Verpassen. Kann tanzend durch die Nacht stolpern, betäubt, ohne zu wissen, ob ich überhaupt tanze oder nur falle. Wenn alles zu viel wird, kann ich auch anders: Den Riegel vorschieben. Den Lärm sortieren. Die Gurkentruppe streicheln und die Papierberge neu ordnen, als wäre das Leben eine Excel-Tabelle mit Sinnspalte. Oder ich kann unvernünftig sein. Und an meinen Träumen festhalten, weil genau das vernünftig ist.

Ich kann Dich küssen, obwohl Deine Lippen mir Angst machen. Vor dem Verlieben und dem was darauf folgen mag. Kann Dir erzählen von meinen Träumen und Dir sagen, dass Träume dafür da sind um sie wahr zu machen. Kann realisieren, dass es sich alleine gar nicht mal so schön lebt auf Dauer und Dich hineinlassen in das, was ich mein Leben nenne. Kann Dir zuhören, wie Du meine Talente lobst, wie Du über meine Witze lachst und die Geschichten meines Lebens, die ab und an nach einem wirklich schlechten Independent Film klingen, aber dennoch wahr sind, feierst. Kann zuhören, wenn Du mir von Dir erzählst, Deiner Leidenschaft, Deinen verdammten Ängsten, die meinen so ähnlich sind. Und wenn Du bleibst, kann ich vielleicht aufhören, gegen mich selbst zu kämpfen.

Und wenn Du meine Wunden küsst und meinen Bauch, könnte ich heulen vor Glück und Panik und Gefühlen und Angst, vor diesem Jetzt, das so viel will. Aber vielleicht kann ich es auch einfach zulassen. Die Panik beiseite schieben, wie einen zu engen Mantel. Und wenn ich aufwache, eingekuschelt in Deinen Armen, kann ich vielleicht endlich wieder sehen, was wichtig ist im Leben. Dass es viel mehr ums Leben geht, um das am Leben sein, als um die Panik, die Niederlagen und das Aushalten. Wer hätte gedacht, dass 0,1 % reichen, um alles zu verändern und zwei Leben einmal komplett auf den Kopf zu stellen?

Und wenn Du bleibst, kann ich aufhören, gegen mich selbst zu kämpfen.

Donnerstag, Juni 26, 2025

schubladen.

Manchmal schlägt das Leben einen Weg ein, den man nie gehen wollte. Kann sich ein Leben in nur einer Sekunde ändern? Aber ja. Alles dreht sich um. Aus oben wird unten. Aus weiß wird schwarz. Aus Tag wird Nacht. Für immer? Nein. Aber für sehr sehr lange.

Seit einem Jahr bin ich betäubt. Ich kann nicht denken. Nicht schlafen. Nicht essen. Das Atmen ist schwer. Die Welt ist verschwommen. Ich will weg von hier, aber ich will auch hier bleiben. Wenn ich 2 Meter über Dir knie, ist es am schlimmsten. Auf diesem Fleckchen Erde gibt es keine Zeit. Nur Schmerz. Trauer. Und Wut. Ganz schön viele Emotionen, dafür, dass ich überhaupt nichts fühle. Aber dafür habe ich eine Schublade. Alles, was mir von Dir geblieben ist, ist dort gelandet. Alle Gefühle. Alle Erinnerungen. Dass sie zugeschlossen und ich den Schlüssel verloren habe, ist mir egal. Die Schublade war meine einzige Chance. Ich lebe jetzt das Leben einer Anderen. Weil ich nicht mehr bin, wer ich war. Weil Du weg bist. Weil sich die Realität wie ein Traum anfühlt. Ich lebe einfach noch ein bisschen weiter, denn irgendwann, da darf ich bestimmt aufwachen. Dann bin ich wieder ich. Und Du bist wieder da. Und jemand sagt mir "War nur ein Irrtum. Ein schlechter Traum."

Das genau das nicht passieren wird, ist mir klar und macht es noch schlimmer. Ich kann und will nicht darüber nachdenken, wie endgültig endgültig wirklich ist. Dass das auch heißt, dass ich bis zum Ende meines Lebens mit dem Ende Deines Lebens leben muss. Mein Herz zerbricht. Die Schublade rappelt.

(2010)

Mittwoch, Juni 25, 2025

statik.

Die vergangenen Jahre war es einfach. Ein kurzes Streifen der Wirklichkeit, kein Gepäck, keine Zettel an der Tür. Keine Zahnbürsten. Nähe im Zeitfenster, mit Ablaufdatum und Rückflugoption. Es war sauber. Funktional. Und vor allem: absolut kontrollierbar. Und dann steht da jemand. Ohne Ankündigung, ohne großes Kino. Kein Paukenschlag. Keine Konfettibombe. Nur dieses leise, unausgesprochene Bleiben. Und plötzlich verschiebt sich die Statik. Nichts knallt. Aber alles kippt ganz langsam. Man merkt es nicht sofort. Es beginnt irgendwo zwischen den Schulterblättern zu arbeiten. Auf einmal ist das alte Koordinatensystem nicht mehr zuverlässig. Die Reflexe greifen ins Leere. Die Masken verrutschen. Plan B fällt aus. Es wird still. Und nah. Vielleicht zum ersten Mal wirklich nah.

Dann meldet sich das Archiv: all die alten Muster, fein säuberlich abgeheftet. Das Unzureichende. Die große Frage nach dem Reichen. Die noch größere nach dem Bleiben. Zu viel? Zu wenig? Kopierbar? Austauschbar? Der innere Projektausschuss tagt. Und findet keine Antwort. Aber da ist jemand, der nicht frontal aufläuft, sondern sich einfügt. Kein Umwerfen. Kein Eindringen. Nur Präsenz. Der nicht wegsortiert, sondern sortieren hilft. Der bleibt, nicht weil er muss, sondern weil er längst da ist. Weil etwas sagt: „Ich halte das aus. Und Dich auch.“

Kiss & Stay ist leise. Fast unscheinbar. Aber es macht was mit den Grundfesten. Vielleicht ist das der Moment, wo nicht mehr gespielt wird, sondern echt geprobt. Nicht auf Effekt, sondern auf Substanz. Der Wind draußen bleibt derselbe. Aber innen ist es schon nicht mehr ganz so zugig.

Donnerstag, Juni 19, 2025

wimpernschlag.

Sechzehn Jahre. Mehr als fünftausendachtzig Tage. Eine halbe Ewigkeit und doch manchmal nur ein Wimpernschlag. Man lernt, mit dem Verlust zu leben, sagen sie. Als wäre das ein Skill, den man sich aneignet. Wie Fahrradfahren, Kochen oder Buchhaltung. Aber manche Tage lassen sich nicht sortieren. Da kommt er zurück, mit voller Wucht. Ein Geruch, ein Lied, ein Datum auf dem Kalender. Und schon steht er wieder im Raum, als wäre er nie gegangen.

Sie sitzt im Auto, irgendwo zwischen Spülmittel kaufen und dem Gedanken, wie alt er heute wäre. Der Radiosprecher sagt irgendwas Belangloses, doch sie hört es nicht. Ihr Herz ist beschäftigt. In sich zusammengesunken. Und obwohl sie unglaublich stark ist – so sagen es alle – fühlt sie sich plötzlich wieder klein. Leer. Zerbrechlich. Und unfassbar traurig. 

Es gibt ein davor und ein danach. Es war einer der Momente, in denen sich das Gehirn nicht bereit zeigt, zu begreifen, obwohl es keinerlei Interpretationsspielraum gibt. Tot ist tot, wie man es auch dreht und wendet. Dieser Satz hat sich eingebrannt. Damals, direkt nach dem Anruf. Seitdem trägt sie ihn wie ein Mantra, das keiner sein will. Der Schmerz ist nicht mehr laut, er schreit nicht mehr mitten in der Nacht. Er ist sehr leise geworden. Aber er sitzt da. In ihr. In den Rissen, durch die das Licht nur manchmal scheint. Sechzehn Jahre. Und immer noch dieses Gefühl, dass er fehlt. Und gleichzeitig ist er da. In allem, was sie geworden ist.

Mittwoch, Juni 18, 2025

flickzeug.

Die eigene Geschichte wiegt manchmal mehr, als man in der Gegenwart denkt. Das ganze Leben besteht aus vielen Geschichten, Vergangenheiten, Gegenwarten und Zukünften. Die eigene Geschichte ist wie das Hintertor der Seele, das Dich in einen großen, dunklen Raum bringt, in dem verschmutzt in kleinen alten Gefäßen, die Du vor langer Zeit wegstellt hast, Deine Erlebnisse und Erfahrungen ruhen, die Du mehr oder weniger sauber verstaut hast. Es gibt Gute und Schlechte. Manche sind nicht zuzuordnen. Das eine Gefäß war mal länger geöffnet als das andere. Doch richtig gemein sind die, bei denen die Gummierung oben am Rand nicht ganz dicht ist, so dass Du immer mal wieder in Deinem Leben daran drehen musst, damit sie fest verschlossen bleiben. Du hast an ihnen gerüttelt, hast Dir Flickzeug gekauft, um sie zu reparieren, aber ein klein wenig Rand ist immer kaputt. 

Und so passiert es, dass wenn die Gegenwart zu viele Aufgaben bereit hält, keine Zeit bleibt, Dich um die kaputten Gefäße zu kümmern, ihre Deckel nochmal nachzuziehen und dafür zu sorgen, dass sie das Glas gut verschließen. Dann kommen sie raus, die Erlebnisse, Erinnerungen und die Gefühle, die damit verbunden sind. Sie kommen durch die Hintertür in Deine Seele und in Dein Herz. Und es ist manchmal sehr schwer mit der eigenen Geschichte umzugehen. Viele Menschen sind gute Schauspieler, die sich und der Welt vorspielen, ihre Geschichte überstanden zu haben. Und so sehr man es sich wünscht, die Geschichte ruht nicht. Manchmal haben einen die Erlebnisse nicht nur geprägt, sondern sie haben sich in Deine Haut gebrannt und die allgemein bekannten, riesigen Wunden hinterlassen. Von Zeit zu Zeit vernarben sie, um dann unerwartet wieder aufzureißen und Zeit brauchen, um wieder einigermaßen zu verheilen.

Einige Probleme, die man hat, wurden nicht durch Personen ausgelöst, die man zunächst verantwortlich machte, sondern davon welche Gefühle sie auslösen und wie das eigene ich, das wahrhaftige, reine ungeschauspielerte Ich damit umgeht. Und wenn bei diesem Ich gerade zu viele Gefäße geöffnet sind, kann es Gegenwart und Vergangenheit, Personen und Gefühle und Erfahrungen nicht mehr voneinander trennen und landet immer wieder an dem gleichen Punkt: dass man alleine da steht und versucht, die Gefühle einzufangen und wieder zu verschließen und erkennt, dass man das nur alleine kann, niemand Schuld an der Misere hat und es nur darum geht, wie Du die Dinge für Dich regelst.

Schaff den Absprung. Spring weg von der Wunde. Öffne die Gläser und lege Deinen Blick auf Neues!

Donnerstag, Juni 12, 2025

sockenlos.

Heute Nacht von meiner Oma geträumt. So real. Sockenlos. 

Und vielleicht geht es im Leben manchmal genau darum: mitten im Suchen, Hetzen und Verlieren einen Moment zu finden, der bleibt. Eine feste Umarmung, die nicht neu ist, sondern zurückkommt, aus der Erinnerung, aus dem Gefühl, aus der Liebe, die geblieben ist. Und dann spürt man, für einen ganz kurzen Augenblick: Ich bin angekommen. Nicht weil alles gut ist. Sondern weil da etwas war – oder jemand –, das getragen hat. Und irgendwie immer noch trägt, obwohl dieser Mensch längst diese Welt verlassen hat. 

Was hatte das Bild mit den fehlenden Socken zu bedeuten?

Dienstag, Juni 10, 2025

vielleicht.

Vielleicht habe ich neulich eine Zahnbürste für jemanden gekauft. Und vielleicht hat er gefragt, ob er die hier lassen kann. 

Ich wäre nicht ich, wenn ich mich nicht noch regelmäßig über die eine Zahnbürste mehr in der Schublade wundern würde, aber es fühlt sich ziemlich gut an. 

Sonntag, Juni 08, 2025

kryptonit.

Du bist wie eine Narbe. Keine rote, wulstige, die für jeden sichtbar ist. Nein, eine kleine, feine, versteckt an einer Körperstelle die meist bedeckt ist. Ein beinahe weißer Strich, der sich nur im Sommer wirklich von meiner leicht gebräunten Haut abhebt. Ein glatter Strich, ohne Risse und Fasern. Genauso wie Dein Ende. 

Eine Narbe, nur sichtbar, wenn ich Menschen ganz nah an mich heranlasse. Wenn ich meinen dicken Pullover ablege, mich ungeschickt bewege und man für einen Moment mehr Haut sieht als erwünscht. Auf einmal wird sie erblickt, die Narbe die ich so gut zu verbergen versuche. Dann kommen Fragen dazu. Und ich möchte so viel erzählen, doch danach bereue ich es stets. Ich blicke in betrübte, beschämte Gesichter. Bei belanglosen Fragen erwartet man nie eine traurige Antwort. Du warst mein Leben, meine Liebe, aber auch mein Kryptonit.

Du bist wie eine Narbe. Manchmal juckst Du, ganz aus dem Nichts und mein kratzen lindert es nicht. Mich erfasst dann eine tiefe Trauer, die mir wortwörtlich die Luft nimmt. Doch manchmal bist Du auch unsichtbar, auch für mich. Die Welt dreht sich weiter. Das zu verstehen kostete mich verdammt viele Stunden, viele Flaschen Weißwein und ein sehr langes Zwiegespräch mit - falls es ihn denn gibt - einem Gott.

So ist das mit Narben. Sie bleiben auf der Haut zurück als Reaktion auf etwas Schmerzhaftes, etwas Einschneidendes. Genau das ist mit meinem Herzen passiert. In dem Moment, als ich den Anruf entgegennahm. Genau in diesem Moment ist der Platz in meinem Herzen, der für Dich reserviert war, explodiert und hat mein Herz zerfetzt.

Der menschliche Körper ist ein unglaublich effizient arbeitendes Konstrukt, ich hätte nie gedacht mich davon zu erholen. Wir überstehen viel mehr, als wir denken. Seither trage ich Dich als Narbe mit mir herum.

Freitag, Juni 06, 2025

irgendwann.

Du sagst, Du liebst mich. Nicht nur heute, sagst Du und lächelst. Du meinst, Du könntest mich glücklich machen, dass ich Deinetwegen nie wieder traurige Texte schreiben müsste. Manchmal, sagst Du, wartet man so sehr auf etwas, dass man all die anderen offenen Türen übersieht. Und Du findest, ich hätte genug gewartet. Dass sich Türen manchmal melden müssten. Laut und deutlich. Damit man sie nicht übersieht. Und jetzt stehst Du vor mir, laut und deutlich – und lächelst. Während ich still auf den Boden starre, mit dem Fuß kleine Kiesel hin und her rolle, als wäre das das Einzige, was gerade zählt.

„Liebst Du mich auch, wenn ich nicht gut gelaunt bin?“, frage ich, ohne den Kopf zu heben. „Wenn ich Dich niemals ganz an mich heranlasse, Dich wegstoße, an Dir reiße, vor Dir fliehe. Wenn ich kalt bin, mich tagelang zurückziehe, nicht auf Deine Anrufe reagiere, Deine Nachrichten ignoriere. Würdest Du mich dann immer noch lieben? Wenn ich Deine Nähe nicht aushalten kann… und Dir nie versprechen könnte, dass Du der Einzige für mich bist – wärst Du dann trotzdem noch da?“

Ich sehe Dich nicht an, aber ich weiß, dass Du gerade Deine Finger gegeneinander drückst. Dass Du auf Deiner Unterlippe kaust. Dass Du Dir eine Haarsträhne hinters Ohr schiebst. „Man kann sich nicht aussuchen, wen man liebt, oder?“, sagst Du. Ich höre das Kratzen in Deiner Stimme. Spüre das Stechen in meiner Brust. Die Worte bleiben mir im Hals stecken. Ich schüttle nur den Kopf, ziehe mit dem Fuß eine Spur in den Kies. „Dann werde ich Dich wohl weiterhin lieben, so wie Du ihn immer noch liebst. Auch wenn mich das traurig macht“, sagst Du. Und lächelst wieder.

Ich höre, wie Du aufstehst. Will nicht hochsehen. Nicht nach dem Kratzen in Deiner Stimme. Bis ich Deine Hand auf meiner Schulter spüre. „Irgendwann sieht man die neuen Türen“, flüsterst Du. Streichst mir eine Strähne hinters Ohr, drückst mich kurz an Dich, küsst mich auf die Stirn und gehst zurück zu den anderen. „Irgendwann sieht man die neuen Türen… und schließt die alten ab.“

Montag, Juni 02, 2025

betrunken.

Ich will mit Dir betrunken durch die Straßen laufen. Nachts, lachend, glücklich, gedankenlos und frei. Huckepack auf Deinem Rücken. Du und ich. Arm in Arm. Ich will bei Dir sein, wenn Du schläfst, wenn Du am nächsten Morgen erwachst und mich lächelnd ansiehst. Dich küssen. Will Dir nahe sein, jeden Augenblick genießen. Ich will, dass Du meine Hand hältst, wenn die Welt zu laut ist und sie nie loslässt. Will mich verlieren in Momenten, in denen nichts zählt außer Deinem Blick.

Montag, Mai 26, 2025

bleiben.

Heute Morgen auf dem Weg zur Arbeit habe ich über "Schmerz" nachgedacht. Über den, den wir im Laufe unseres Lebens erleben. In Wellen, in Stichen, in leisen Momenten. Schmerz, der sich manchmal in den Alltag schleicht, manchmal laut da ist, einen völlig umhaut und manchmal einfach nur sehr schwer auf der Brust sitzt, ohne sich erklären zu müssen. Ich habe im Laufe der Jahre erst verstanden, wie tief Schmerz sitzen und wie vielschichtig er sein kann. 

Ich erinnere mich an Momente, in denen ich temporär nicht mehr fähig war zu atmen und mich einfach nur auf die Straße legen und sterben wollte. Ich wollte das es aufhört. Ich wollte und konnte das nicht fühlen. Mich nicht damit auseinandersetzen. Ich musste erst lernen, Schmerz überhaupt zuzulassen. Lange Zeit war funktionieren einfacher. Sich ablenken, unermüdlich arbeiten, weitermachen, alles unter Kontrolle behalten. Aber irgendwann reicht das nicht mehr. Irgendwann meldet sich das, was wir nicht fühlen wollten. Und wenn es kommt, dann nimmt es mir manchmal die Luft. Es sitzt schwer auf meinen Schultern. Und trotzdem – es gehört zu mir. Zu dem, was war. Zu dem, was fehlt.

Mit dem Tod meiner Oma habe ich eine neue Qualität des Schmerzes kennengelernt, die ich noch nicht kannte und ich spüre diesen Schmerz besonders deutlich. Wenn eine Konstante Deines Lebens stirbt, klafft dort ein riesiges Loch. Es gibt so viele Dinge, die sich gerade verändern, so viele Umbrüche, so viel Unsicherheit – und sie fehlt. Nicht, weil sie immer die perfekten Antworten hatte. Sondern weil sie mir diese ruhige, fast unerschütterliche Form von Vertrauen gegeben hat, die ich selbst manchmal nicht aufbringen kann. Sie war da. Immer. Und ihr Blick hat mir gesagt: „Kind, du schaffst das. Du musst nur weitergehen!“ Wie oft hat Sie meine Hand dabei gehalten. Letzte Woche hat mich jemand aus meiner Vergangenheit gefragt, was in der Zwischenzeit passiert ist und ich habe es zum ersten Mal seit Langem ausgesprochen: Sie ist tot. Der Satz kam, und mit ihm eine Welle. Der Schmerz war plötzlich da – groß, dicht, überrollend.

Ich übe mich darin, nicht mehr wegzulaufen oder auszuweichen. Den Schmerz in meinem Leben nicht mehr zu übergehen, nicht kleinzureden. Sondern ihn da sein zu lassen. Als Teil von mir. Als Teil dieser Geschichte, die mich trägt, auch wenn sie manchmal weh tut. Vielleicht ist genau das der mutigste Schritt: einfach dazubleiben. Das auszuhalten. Im Gefühl. In der Verbindung. Und auch in der Erinnerung. Das ist das, was Du mir beigebracht und vorgelebt hast. 

Dienstag, Mai 20, 2025

raum.

Zwei Menschen betreten einen Raum. Es gibt kein bestimmtes Ziel, keinen Vertrag, keine Bedienungsanleitung und keinen Notausgang. Ich bringe Angst mit, er Vertrauen. Ich werfe mit Fragen, er fängt sie mit offenen Händen. Ich teste Grenzen, er nennt es Herausforderung. Er balzt, ich kontere – manchmal einfach mit einem Augenrollen. Dann ist da diese Art von Stille, die Platz schafft. Raum für Nähe, die kein Tempolimit kennt. Und irgendwo dazwischen erzählen wir uns die Dinge, die sonst keiner sehen darf. Die guten, die kaputten und die mit der Aufschrift „Vorsicht, kann bei Berührung explodieren“. Und es passiert etwas, das sich nicht benennen lässt, aber seltsam richtig anfühlt. Leicht und im Flow. 

Es fühlt sich an wie ein System, das sich selbst austariert und gefunden hat. Wie ein Spiel, das keiner gewinnen muss, weil beide freiwillig mitspielen und bleiben. Ohne Agenda. Ohne Druck. Nur zwei Menschen, die sich gegenseitig aufmachen. Wort für Wort, Bild für Bild, Kuss für Kuss, Hemdknopf für Hemdknopf. 

Donnerstag, Mai 15, 2025

nulllinie.

Es gab eine Zeit, da war ich richtig effizient und habe meine Gefühle abgestellt. Ich wollte diesen ganzen Stress mit zwischenmenschlicher Kommunikation - insbesondere diesen emotionalen Tanz zwischen Mann und Frau - aus meinem Leben herausschneiden. Das Resultat: Ich war innerlich tot. Ich habe überhaupt nichts mehr gefühlt. Ich habe niemanden in mein Herz und Leben gelassen. Ich hatte nicht nur den ganzen Stress ausgeschaltet und weggeschnitten, sondern mein komplettes Herz weggesperrt. Keine Aufs, keine Abs. Emotionaler Ruhepuls von null. Und dann kam da unerwartet jemand um die Ecke und setzte sich dazu. Ohne Drama. Ohne Druck. Einfach da. Auf Augenhöhe. Einer, der Fragen stellt, statt Spielchen zu spielen. Und ich? Ich merke: Ich bin offenbar doch nicht innerlich tot. Und plötzlich fühlt es sich nicht mehr wie ein Risiko an – sondern wie eine ziemlich gute Idee.

Dienstag, Mai 06, 2025

türen.

Ein Satz, den meine Oma irgendwann mal zu mir gesagt hat, als ich dabei war, mein Innen und Aussen zu sortieren während der Boden temporär wackelig war: "Nutze Deine Sprache wie eine Tür und nicht wie einen Zaun!" 

Das ist mir heute wieder eingefallen. Ich hatte es völlig vergessen. Wie klug sie war. Sie fehlt mir sehr. 

Sonntag, Mai 04, 2025

veränderung.

Heute morgen habe ich vor meinem Visionboard in Größe A1 für 2025 gestanden. Einfach so. Mit Tee in der einen Hand, Schlaf im Gesicht und Gedanken, die irgendwie noch barfuß unterwegs waren. Und plötzlich hat’s gekribbelt – dieses leise, eindringliche Kribbeln, das sagt: Du bist weiter, als du dachtest. Manchmal übersieht man gern die kleinen Schritte, weil man auf das große Ziel starrt wie auf einen viel zu hellen Punkt am Horizont. Dabei hat sich still und heimlich so viel verschoben. Innen. Außen. Alles ist irgendwie in Bewegung. Ich hab’s nur noch nicht ganz realisiert.

Seit ein paar Jahren mache ich nun diese Boards. Mit Schere, Kleber, Bildern, Worten. Wünschen. Richtungen. Gefühlen. Und jedes einzelne Mal, fast unheimlich zuverlässig, ist das, was da hängt, später Teil meiner Realität geworden. Nicht über Nacht. Aber über Herz, Mut, Tränen, Entscheidungen. Über Zeit. Ich liebe dieses Ritual. Jedes Jahr zwischen den Tagen vor Silvester. Mittlerweile ist es fester Bestandteil. 

Und dieses Jahr? Dieses Jahr hat es besonders in sich. Hochs und Tiefs wie eine Herzlinie nach einem Sprint. Phasen, in denen ich nicht wusste, wo oben ist. Und andere, in denen ich dachte: So fühlt sich Kraft an. Und Richtung. Und das ganz ohne Kompass. Alles wackelt manchmal, auch ich. Aber wenn ich auf dieses Board schaue, dann sehe ich nicht nur Bilder. Ich sehe mich. Und wie weit ich schon gekommen bin.

Vielleicht ist das das schönste Gefühl überhaupt: zu merken, dass man sich selbst nicht verloren hat – auch wenn sich gerade alles verändert.

Samstag, Mai 03, 2025

stolpern.

Manchmal sitzt man jemandem gegenüber und realisiert, dass man sieben Jahre lang ganz gut darin geworden ist zu funktionieren – aber nicht mehr weiß, wie man sich öffnet und wie Nähe eigentlich geht. Und während der andere spricht, lacht, erzählt, versucht, Pausen zu füllen, sitzt man da und denkt: Bitte nimm das nicht persönlich. Ich bin einfach gerade völlig überfordert. Nicht von Dir. Sondern von allem, was dieser Moment mit mir macht.

Und vielleicht war ich überhaupt nicht souverän. Nicht locker und leicht wie sonst. Nicht besonders charmant. Aber ich war da. Mit allem, was ich in dem Moment hatte. Ich wollte nicht stolpern.

Donnerstag, Mai 01, 2025

zen.

Irgendwas zwischen 120er Puls, Herzinfarkt, kontrolliertem Atmen in eine Papiertüte und völliger innerer Zen-Ruhe. Mein Nervensystem tanzt Rumba und ich stehe daneben und klatsche höflich mit. Ich habe alles voll im Griff. Vertraut mir!

Dienstag, April 29, 2025

nackt.

Ich fühle mich nackt. Von meinen Gefühlen so entblößt, dass ich Angst habe, der kleinste Windhauch könnte die starke Hülle, die ich mir in den vergangenen Jahren aufgebaut habe, jeden Moment zerstören. Eine Hülle aus Beherrschung, leisen Fluchten, aus der Kunst, zu funktionieren, auch wenn innen längst nicht immer alles stabil ist.

Eine Rüstung, die schwer geworden ist und doch Sicherheit verspricht. Aber manchmal kommt da jemand, der nicht an deine Rüstung klopft, sondern der einfach davor sitzen bleibt. Still. Geduldig. Jemand, der nicht fordert, dass du dich zeigst. Sondern dem Du Dich zeigen willst. Nicht, weil Du musst. Sondern weil Du spürst, dass es keine Rolle spielt, ob Du perfekt bist. Oder zerbrechlich. Dass Dasein genügt.

Und vielleicht geht es am Ende nicht darum, die Angst loszuwerden. Sondern darum, sie an die Hand zu nehmen und trotzdem einen Schritt weiterzugehen. Nackt. Unperfekt. Verletzlich. Echt.

Samstag, April 26, 2025

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 Die Welt verändert sich mit dem, der neben einem ist – oder neben einem fehlt.

Mittwoch, April 23, 2025

trick 17.

Es ist immer dasselbe Spiel. Er schreibt. Du lachst. Es knistert. Du denkst: Vielleicht dieses Mal. Spoiler: Wahrscheinlich nicht.

Denn Verliebtsein ist ein Trick. Einer, den der Körper uns spielt, damit wir uns noch trauen, Nähe zuzulassen, bevor der Verstand wieder Oberwasser bekommt. Und ja – es fühlt sich gut an. Aber echt ist es erst, wenn die Lichter wieder aus sind. Verliebtsein fühlt sich an wie der große Wurf. Alles kribbelt. Alles ist aufregend. Man redet zu viel, lacht zu laut und schreibt plötzlich Sätze mit drei Ausrufezeichen. Es ist ein chemischer Ausnahmezustand – Dopamin, Adrenalin, dieser ganze hormonelle Wahnsinn, der einem vorgaukelt: Das ist es. Endlich. Jetzt.

Und dann? Dann kommt der Teil, in dem das Licht wieder angeht. In dem man sich nicht mehr nur das Beste im Anderen vorstellt, sondern tatsächlich sieht, wer da neben einem sitzt. Ohne Filter. Ohne rosa Brille. Und dann entscheidet sich, ob da mehr ist. Liebe ist kein Rausch. Sie ist auch kein Versprechen. Sie ist Arbeit. Sie ist Bleiben, wenn es anstrengend wird. Sie ist Zuhören, wenn man müde ist. Sie ist Respekt, wenn man streitet. Liebe braucht keine Bühne. Aber sie hält die Stille aus.

Verliebtsein ist der Anfang. Liebe ist das Danach. Und ob aus dem einen das andere wird, zeigt sich erst, wenn der Hormonsturm sich gelegt hat. Wenn keine Projektionsfläche mehr bleibt, sondern ein Mensch. Verliebtsein ist der Funke. Liebe ist das Feuer, das du jeden Tag neu anzündest. Leise. Ohne Feuerwerk. Aber mit allem, was zählt.

Und morgen fragt wieder jemand, ob’s noch kribbelt.
Nein. Aber ich bleib trotzdem.

Samstag, April 05, 2025

frühling.

Draußen wird es Frühling. Die ersten richtig schönen wärmeren und sonnigen Tage. Die Bäume explodieren in hellem Grün, die Blüten werfen mit Schönheit um sich. Vögel zwitschern, die Papageien fliegen übermütige Stunts, Kinder lachen, die Straßencafés sind voll, alles will raus, alles will wachsen. Und ich? 

Ich bin so unendlich müde und fühle nichts. Weil alles zu viel ist. Ich habe diese Woche eine kleine Summe Geld geerbt. „Ein Geschenk.“ Aber mir ist nach Rückgabe. Nach Umtausch. Ich will keine Zahl auf einem Konto – ich will meine Oma zurück. Diese kleine, starke Frau. Diese Wärme, diese Stimme, dieses unverwechselbare „Na, mein Kind?“ Ich würde alles dafür geben, noch einmal mit ihr Tee zu trinken. Oder zu schweigen. Einfach nur da zu sein. Scheiss auf das Geld! Da ist ein Riss im Herzen. Und diese absurde Frühlingsfülle macht es nur noch klarer: Die Welt lebt während sie tot ist. Seit nun 3Monaten.

Und ich? Ich funktioniere. Meine Uhr sagt: „Du bist verbunden mit der grenzenlosen Energie des Universums.“ Vielleicht stimmt das ja sogar. Aber heute spüre ich nur Erschöpfung. Heute bin ich nicht verbunden, sondern verloren. Nicht leuchtend, sondern leise. Und das darf sein. Vielleicht ist das meine Art von Frühling. Ein ganz langsamer, leiser. Einer, der erst unter der Haut zu blühen beginnt. Bis dahin darf ich müde sein. Ich darf fehlen lassen. Und trotzdem weitergehen.

Freitag, März 14, 2025

gedanken.

Manchmal schlägt das Leben einen Weg ein, den man nie gehen wollte. Kann sich ein Leben in nur einer Sekunde ändern? Aber ja. Alles dreht sich um. Aus oben wird unten. Aus weiß wird schwarz. Aus Tag wird Nacht. Für immer?

Nein. Aber für sehr lange.

Donnerstag, März 13, 2025

glücksplosion.

Ich liebe es, wenn der Raureif die Dächer der Nachbarhäuser mit glitzerndem Frost überzieht. Wenn die Papageien ihre Lieder im Hof piepsen. Wenn der Morgennebel sanft über der Straße schwebt. Wenn die Abendsonne die Wolken in zartes Rosarot taucht. Wenn meine Nachtgedanken durch die Dunkelheit wandern. Ich liebe es, den Herbstwind auf meiner Haut zu spüren. Im Winter meinen Atem in der kalten Luft tanzen zu sehen. Wenn frisch gefallener Schnee die Stadt in Stille hüllt, als hätte jemand die Welt auf „Pause“ gedrückt. Von Frühlingsgefühlen high zu werden. Im Sommerregen zu tanzen.

Ich liebe es, am Meer vor mich hin zu träumen. Mit Freunden um einen flackernden Grill zu sitzen, den Duft von glühender Holzkohle in der Luft und das Knistern der Flammen in den Ohren. Mir in der Badewanne Schaumhüte aufzusetzen. Mit dem Einkaufswagen Wettrennen zu fahren. Die Hand meiner Tochter zu halten, ihre Finger in meinen zu spüren und zu wissen, dass es keinen sichereren Ort für sie gibt. Die Liebe von Freunden zu spüren, die einfach da sind. Ich liebe es, ganz fest umarmt zu werden. So laut zu lachen, dass es weh tut und doch wunderschön ist. Manchmal einfach nur allein zu sein. Nach Hause zu kommen.

Es sind diese Momente, die mich fast glücksplodieren lassen. Die so klein und unscheinbar wirken und doch so groß und bedeutend sind. Es sind diese Momente, die mir Tränen in die Augen treiben. Die sich anfühlen wie Konfettiregen. Es sind diese Momente, in denen ich in die Welt hinausrennen will, um mich in ihrer sanften Schönheit zu verlieren. Still den Augenblick zu genießen. Es sind diese Momente, die mir zuflüstern: Zu jeder Zeit und an jedem Ort kann das Leben besonders sein.

Mittwoch, Februar 19, 2025

achterbahn.

Das Leben ist wie eine Achterbahn. Auf der Fahrt durch Höhen und Tiefen, Rechts- und Linkskurven, Loopings und Schrauben wird uns einiges abverlangt. Menschen steigen ein und wieder aus - einige davon fahren nur eine kurze Weile mit und andere bleiben bis zum Schluss sitzen. 

Manchmal genießen wir den atemberaubenden Ausblick aus schwindelerregender Höhe, manchmal hält uns die Schwerkraft gnadenlos unten. Es gibt Momente, in denen wir voller Vorfreude die Arme in die Luft reißen – und solche, in denen wir uns nur noch festklammern und hoffen, dass der nächste Abschnitt sanfter wird. Die Geschwindigkeit überrascht uns oft – mal rasen wir durch das Leben, ohne richtig innezuhalten, mal zieht sich die Fahrt zäh wie in Zeitlupe. Und doch geht es immer weiter. Jede Begegnung, jede Kurve, jede unerwartete Wendung formt unsere Reise. Manche Mitfahrer hinterlassen Spuren in unserem Herzen, auch wenn sie längst ausgestiegen sind. Andere sitzen still neben uns, während wir gemeinsam durch die Wirbel des Lebens rauschen.

Egal, wie wild die Fahrt ist – am Ende zählt nicht, wie oft wir gefallen sind, sondern wie oft wir das Lachen nicht verlernt haben.

Sonntag, Februar 16, 2025

reichtum.

Die Sonne scheint. Es ist unglaublich kalt und eisig. Ich mag dieses Wetter. Es hat so etwas gemütliches. Ich sitze in meiner warmen Pyjamahose am Küchentisch, schaue in die Sonne und denke an Dich. Ich muss lächeln. Gleichzeitig ist mir zum Weinen. Ich vermisse Dich so unglaublich, dass es wehtut. Gestern wollte ich Dich anrufen und von den letzten Wochen erzählen. Das Leben steht nicht still. Mir fehlen unsere Gespräche. Deine Hand auf meiner. 

Trotz allem überwiegt die Dankbarkeit und Freude, dass ich Dich hatte und Du mich so bedingungslos geliebt hast. Das macht mich wirklich reich. 

Sonntag, Januar 26, 2025

85.

Die letzten Wochen hatten sehr viel Schwere. Aber so ist das, wenn jemand geht, der so wichtig war: schwer. 

Heute wäre Dein 85.Geburtstag gewesen. Ich hab mir die Fotos der letzten Geburtstage angeschaut. Wahnsinn, wie schnell sich Dinge plötzlich ändern können. Ich werde Freitag auf Dich anstoßen, dann bist Du genau vier Wochen tot. Wir werden dabei besprechen, wer am Samstag wo sitzt, wo läuft, etc. Du kannst Dir vorstellen, wie sehr ich innerlich die Augen verdrehen werde. Ich werde versuchen den Spass und die Doppelmoral links und rechts einfach auszublenden. Vielleicht baue ich in meine Rede noch eine Deiner Anekdoten von den Bombennächten 1945 ein und wieviel Angst Du davor hattest, dass das wieder passieren kann in den nächsten Jahren. Du hast meine Hand festgehalten und erzählt, wie sehr sich die Bilder und Geräusche in Dein Gehirn eingebrannt haben. Wie oft haben wir bei schlimmen Gewittern nachts im Flur auf der Bank gesessen als ich ein Kind war, nachdem Du alle Stromquellen abgeschaltet hattest, die wichtigsten Papiere in der Hand, weil Du bereit sein wolltest zu fliehen. Dein Kriegstrauma. Du hast 1945 auf dem Gepäckträger gesessen und die Tasche mit den Papieren fest umklammert auf dem Weg zum Bunker. Es wird an der Einstellung Anwesender de facto nichts ändern bei der Wahl in 4Wochen. 

Ich habe all Deine Geschichten so sehr geliebt. Alles Liebe zum Geburtstag, Du verrückte Nudel. Ich vermisse Dich. 

Mittwoch, Januar 22, 2025

steine.


Du bist jetzt seit fast drei Wochen tot und es ist keine einzige Woche vergangen, in der ich nicht mindestens dreimal das Bedürfnis hatte, Dich anzurufen und Dir von irgendetwas zu erzählen.

Je näher der Tag Deiner Beerdigung rückt, umso größer wird der Stein in meinem Magen.

Donnerstag, Januar 02, 2025

zeit.

Letzten Mittwoch hast Du meine Hand fest gedrückt und die ganze Zeit nicht losgelassen. Deine Augen haben gestrahlt und gelacht, als Du die Untermieterin und mich erkannt hast. In diesem Moment warst Du ganz da. Du konntest es gar nicht fassen, dass wir tatsächlich da sind trotz der großen Entfernung. Du hast gelächelt und gesagt: „Ich komme euch bald besuchen.“

Zwischendurch bist Du immer wieder im tiefen Nebel verschwunden, und ich habe jede Deiner Bewegungen beobachtet. Deinen Blick, der ins Leere glitt. Deine Hände, die so vertraut und doch so zerbrechlich wirkten. Ich wollte mir jedes Detail genau einprägen, als könnte ich damit die Zeit anhalten. Es hat Dich sichtlich Kraft gekostet, Dich zu konzentrieren, bei uns zu bleiben, diesen Moment mit uns zu teilen. Beim Abschied habe ich Dich immer wieder fest umarmt und geküsst. Am liebsten hätte ich Dich überhaupt nicht losgelassen – weil ich nicht wusste, ob es vielleicht das letzte Mal ist.

Seit Samstag hat sich Dein Zustand rapide verschlechtert. Du isst und trinkst kaum noch, selbst die Tabletten bleiben nicht in Dir. Dein Körper ist voller Wasser, und Du bist so verändert. Abwesend. Du möchtest nicht mehr aufstehen. Alle machen sich große Sorgen – auch die Pflegekräfte. Am Telefon hat meine Mutter heute geweint. Sie sucht noch nach Erklärungen, nach einem Schuldigen, klammert sich an die Hoffnung, dass es doch noch besser werden könnte. Aber sie hat auch das ausgesprochen, was ich schon länger denke, aber nicht wahrhaben wollte: Dein Körper hat wahrscheinlich keine Kraft mehr.

Du bist müde. Ich sehe es. Wir alle sehen es. Und es bricht mir das Herz. Aber vielleicht ist es jetzt Zeit, loszulassen – auch wenn es noch so weh tut. Du hast so viel gegeben, so viel geliebt. Du bist so wichtig für uns. Und das wirst Du immer bleiben.