Donnerstag, Oktober 08, 2009

weinen können.

Manchmal tut weinen gut. Manchmal täte es gut, nur man kann einfach nicht. Vermutlich hab ich's irgendwie verlernt.

Vor kurzem fiel mir ein Foto in die Hand, dass mich während einer Beerdigung im engsten Familienkreis zeigt. Bleich, komplett in schwarz, distanziert und ohne jede Gefühlsregung. Ich erinnere mich, dass ich darauf konzentriert war nicht mit meinen Stiefeln im durchnnässten Boden zu versinken und mich weit weg wünschte, weil mir dieses Szenario unheimlich falsch vorkam. Aber es kam nicht eine Träne. Als mein Ex nach fünf gemeinsamen Jahren sagte, dass er nachgedacht und ich vollkommen recht hätte - unsere Beziehung damit beendet war, war ich erst unheimlich wütend und dann paralysiert. Aber ich weinte lange Zeit keine einzige Träne. Das Paradoxe war, dass einige Freundinnen in Tränen ausbrachen als sie von der Trennung hörten, ich ihnen Taschentücher reichte, sie tröstete und mir dabei reichlich bescheuert & gestört vorkam. Als ich vor zwei Jahren überraschenderweise erstmalig durch eine wichtige Prüfung fiel und drei Prüfer darauf warteten, dass mir das Wasser in die Augen schießt und ich wahrscheinlich explodiere, habe ich sie sichtlich enttäuscht. Ich stand auf schaute jedem direkt in die Augen, gab ihnen die Hand, verabschiedete mich mit klarer Stimme und verließ den Raum. Auch vor zwei Wochen konnte ich nicht weinen, erst nachdem ich blind auf einen Sandsack eingeschlagen habe und mir jemand sagte "Face it! Danach wird es besser.". Meine Kollegin und gleichzeitig Freundin, die gestern aus dem Urlaub wiederkam, konnte sich dagegen kaum beruhigen, so dass ich mit dem Kleenex reichen nur schwer nachkam und wie unbeteiligt daneben saß, als wäre das alles gar nicht mein Leben. Es ist seltsam, die Menschen nehmen einen in den Arm, weinen, sind schockiert, betroffen, fassungslos, schauen besorgt, rufen im Stundentakt an und warten darauf, dass man in Tränen aufgelöst zusammenbricht. Funktioniert bei mir nicht. Ich kann nicht weinen, nur weil man es von mir erwartet... und außerdem hasse ich mitleidige Blicke. Keine Ahnung, warum es ist wie es ist - es ist nicht so, dass ich nicht betroffen oder traurig wäre. Im Gegenteil, diese Gefühle haben gelegentlich die Ausmaße eines Tsunamis, nur mache ich das dann gern mit mir selbst aus, indem ich bis an die Schmerzgrenze Fahrrad oder in die Einsamkeit fahre. Ich möchte völlig normal behandelt, nicht geschont werden, reden oder mich erklären müssen. Und es muss auch nicht jeder in meinem Umfeld wissen, was mich aktuell privat bewegt oder wie unfair das Leben sein kann.

Ganz selten bricht es dann aber doch förmlich aus mir heraus. In ganz komischen oder vorzugsweise unpassenden Situationen. Es ist als ob ich einen Behälter in mir tragen würde, und der füllt und füllt sich und irgendwann schwappt er über. Aber man irritiert damit Menschen so sehr, bringt sie in Verlegenheit, in unangenehme Situationen. Ganz wenige Menschen können mit weinenden Menschen gut umgehen. Ich weiß noch nicht mal ob ich selbst dazugehöre.

13 Kommentare:

  1. Mit dem Weinen ist das so ne Sache. Ich persönlich finde es überbewertet und ich habe mich danach auch nie besser gefühlt - egal, in welcher der(seltenen) Situationen.

    Mein Ventil ist ein Blog. Ein ganz persönliches, das keiner meiner Freunde/Bekannten kennt und welches man nicht mit mir in Verbindung bringen kann. Wenn's mal nicht gut läuft, tut das Schreiben gut. Ich kann mich entladen, mich auskotzen, fluchen, whatever - ganz ohne irgendjemandes Erwartungen zu erfüllen oder Reaktionen zu fürchten.

    Zeig dem Schicksal den Mittelfinger ;)

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  2. Tja Evo so ist das nunmal mit uns. Mach dir deswegen keinen Kopf, du bist nicht die Einzige der es so geht. Ich für meinen Teil denke mir, dass es nichts bringt dich mit E-Mails zu überhäufen und Mitleid im Übermaß zu bekunden. Auch wenn ich meine, dass ich es mal wieder besser weiß, du kennst mich ja. Ich lass dich erstmal auskoman und falls Bedarf besteht, kannst du dir eine Idee bei mir holen ;).

    Lg Peri

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  3. Du hast gerade etwas Prägnantes geschrieben "Als ob das nicht mein Leben ist..."

    Ich kenne dieses Gefühl auch, wenn dich alle bemitleiden, sagen, wie schlimm du dran bist, die Frage, wie du das nur aushälst ....Und ich dann dastehe und die anderen tröste...Ist das nicht krass? Ich mein, es geht doch um mein Leben, um mein Elend.

    Selbstbeherrschung deluxe. Kontrolle und Selbstdisziplin.
    Und dann ein Ausbruch in völlig unsinnigen und unlogischen Situationen.
    Schon mal wegen der Wettervorhersage geflennt? Ich schon...
    Es schwimmen einem sämtliche Felle davon und man bricht zusammen wegen so einem Pipifax!

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  4. Kann ich genau so nachvollziehen. Ich weine mit den Fingern auf der Klaviertastatur - und nur da. Niemand darf dabei zuhören - mein Kummer ist ein Zwigespräch zwischen den Tönen und mir selbst. Vermutlich wie Fahrradfahren in der Einsamkeit. Am ende bist du leer, ausgelaugt, geschafft, aber du hast das gefühl, etwas hat sich ein kleines bischen zum positiven gewandt.

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  5. Ich bin in der Hinsicht das Gegenteil von Dir. Ich muss immer weinen: Wenn ich ergriffen bin, wenn ich sauer bin, wenn ich fertig bin, wenn ich traurig bin, wenn ein rührender Film kommt....das ist ganz schön anstrengend und für meine Mitmenschen echt anstrengend!

    Ich wünschte mir manchmal ich könnte das zurückhalten...obwohl es schon befreit und manchmal auch gut tut!

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  6. Jeder Mensch verarbeitet sowas auf seine eigene Art und Weise..
    Deine sieht meiner sehr ähnlich, aber ich kann damit verdammt gut umgehen. Und anders als so wie ich es jetzt lebe, möchte ich es auch eigentlich gar nicht haben.
    Ab und zu mal ein paar tröstende Worte sind schon ganz ok..aber dauernd..neee..
    Gib mir 5 "Patsch"

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  7. es wurde ja schon gesagt: jeder regelt das mit sich auf seine eigene weise. mach dir keine gedanken! ich habe eine gute freundin, die in letzer zeit auch der b viele schicksalsschläge verkraften musste - und der geht es ganz genau so wie dir. und wenn sie dann doch mal weint, entschuldigt sie sich noch dafür. wo man sich doch für seine art zu trauern wirklich nicht entschuldigen muss - man muss sich nur damit anfreunden.

    dieser satz mit dem gefäß, den du schriebst, lief mir gestern schonmal über den weg. ich lese gerade "der turm" von uwe tellkamp, und in diesem buch lässt der autor auch eine seiner figuren denken, dass in ihm wohl ein gefäß sei, das sich eigentlich langsam vollfüllen müsste. nur hat seines löcher, und alles läuft langsam aus. er fühlt sich irgendwie unvollständig, als würde er immer etwas verlieren. vielleicht ist das dann die andere seite. kontrolle contra verlust?

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  8. Hach Süße, es ist doch egal, ob andere Menschen - oder auch wir selbst - mit weinenden Menschen umgehen können. Aber es MUSS trotzdem raus, es hilft. Schön ist es natürlich nicht. Vor anderen mag ich es auch nicht unbedingt. Ich will stark bleiben und nach aussen stark erscheinen. Mein Unterbewusstsein scheint es mir zu befehlen.
    Ich erinnere mich an den mit Abstand besch... Tag in meinem Leben. Vor über 2 Jahren. Im Juni. Der Tag ist allüberall dick markiert. Es ist als wäre es gestern gewesen. Die Bilder sind eingemeisselt. Stundenlanges Warten. Wo bleibt er nur? Vergebliche Versuche, ihn telefonisch zu erreichen. Klingeln an der Haustür. Endlich ist er da. Aber Polizei. Später Interventionsteam und der Pastor. Unwirklichkeit. Fassung bewahren. Stark sein um die anderen zu unterstützen. Nicht fähig zu weinen. Am Tag danach Begreifen. Und dann kamen sie. Tränen. Tagelang. Wochenlang. Am Stück. Aber es hat geholfen. Natürlich viel zu wenig. Trotzdem müssen wir versuchen, es raus zu lassen. Wir müssen uns die Zeit nehmen. Kein Weglaufen. Versuchen, zu akzeptieren. Es ist wichtig. Und es hilft. Wenn auch viel zu wenig.

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  9. @Thumbsucker: Mhmmm vielen Leuten scheinen Tränen zu helfen - selbstreinigende Wirkung, etc. - mir geht's wie Dir, ich fühle mich nicht wirklich besser...sondern ärgere mich eher über mich selbst.

    Schreiben hilft. DEFINITIV. Für diese Fälle bevorzuge ich Stift & Papier...alternativ Sport bis zur völligen Erschöpfung.

    *schmunzelt* es geht weiter. Immer :) ...Danke.

    @Peri: Du weißt, dass ich mit Mitleid nichts anfangen kann ;) Ich melde mich in den nächsten Tagen bei Dir - musste erstmal alles sacken lassen :)
    LG

    @Lilly: Schwestern im Geiste, wie wir sofort festgestellt haben.

    Ich bin nicht sicher, ob es stets Selbstbeherrschung ist. Viel mehr der Gedanke, niemanden belasten zu wollen. Man muss doch ständig Kompromisse mit der eigenen Emotionalität eingehen. Man passt seine Gefühle der Umgebung an, schont vorallem die, die man liebt, schlüpft in die verschiedenen Alltagsrollen, balanciert, schützt, wägt ab, um das Gesamtgefüge nicht zu gefährden, weil man selbst ein Teil davon ist... Da kann ich mich meiner Umwelt nur bedingt so zumuten wie ich eigentlich bin, eine Komposition der Unstimmigkeiten - ein Bündel an Launen, Gefühlen unter denen ein Schwerlasttransporter zusammenbrechen könnte, ein Container von Selbstzweifeln.

    Mir kamen zwar schon mal an der Supermarktkasse die Tränen, aber Totalausfälle bleiben in der Regel aus. Vielleicht sollte ich öfter mal den Wetterbericht achauen ;)
    Drück Dich und weiß genau, was Du meinst.

    @Herr Vorragend: Wunderbar, Herr Vorragend - genau so ist es - oft.

    @Lauffrau: *schmunzel* das erinnert mich als ich damals mit Schulfreundinnen im Kino bei Titanic saß - sieben schluchzende Mädels um mich und ich habe die Taschentücher verteilt und fragte mich währenddessen, warum genau sie jetzt heulen. Mir war das zu viel Dramatik ;) ...ich war früher ein Wutheuler, irgendwann habe ich dafür ein besseres Ventil gefunden. Putzen & Sport.

    Mir geht's auch eher so, dass meine Mitmenschen völlig überfordert sind, wenn doch mal Tränen fließen, da man mich so nicht kennt und selbst dann mache ich noch Witze und entschuldige mich. Ich wünschte, ich könnte es als was völlig Normales akzeptieren. Sei froh, dass Du Deine Gefühle so zum Ausdruck bringen kannst! :)

    @Stumpfi: Solang man sich damit auch auseinander setzt und die Dinge verarbeitet, ist das vollkommen okay ;)

    @thg: Das Verhalten deiner Freundin ist mir absolut vertraut... es ist schwer sich damit anzufreunden.

    "kontrolle contra verlust?" Das ist ein Abendfüllendes Thema, aber Du bringst es mit den Schlagworten auf den Punkt. Ich werde das mal für mich genauer durchdenken und in Worte fassen.

    @Nili: F*ck, ich fühle mit Dir. So was ist ganz fürchterlich und ich wünsche das niemandem. Du sagst, Du willst stark bleiben - diese Gedanken kenne ich. Man will/ muss es den Anderen leichter, erträglicher machen - ich habe irgendwann festgestellt, ich kann gar nicht anders... ich schalte die Gefühle weitestgehend temporär aus, nehme mich völlig zurück und funktioniere einfach. Und wenn die Tränen doch mal kommen, dann nie vor Anderen - ich hätte Angst, die Fassung zu verlieren, wenn mich dann jemand versucht zu trösten. Und ich habe einfach das Gefühl, dass es mir nie geholfen hat, ich fühlte mich danach meistens nur noch schrecklicher & schwach.

    Da müssen wir mal in Ruhe drüber reden :) - dicken Drücker nach Hamburg.

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  10. @Evo ... wir sehen uns ja in 2 Wochen? Ich freu mich darauf :D

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  11. Ich bin mir nicht sicher, ob das ein Segen oder ein Fluch ist, was du da beschreibst. Ich möchte es gerne als Segen bewerten, denn ich zB breche bei jeder sich bietenden Gelegenheit in Tränen aus. Das ist äußerst unangenehm und ich wünschte ich könnte die Dinge so distanziert betrachten wie du. Allerdings ist es ja auch nicht gut, so lange alles anzusammeln, bis man fast platzt. Ein Mittelmaß wäre gut. Bei dir wie bei mir. Aber so sind wir eben ;)

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  12. Ich bin mir nicht sicher, ob das ein Segen oder ein Fluch ist, was du da beschreibst. Ich möchte es gerne als Segen bewerten, denn ich zB breche bei jeder sich bietenden Gelegenheit in Tränen aus. Das ist äußerst unangenehm und ich wünschte ich könnte die Dinge so distanziert betrachten wie du. Allerdings ist es ja auch nicht gut, so lange alles anzusammeln, bis man fast platzt. Ein Mittelmaß wäre gut. Bei dir wie bei mir. Aber so sind wir eben ;)

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  13. hiya


    Just saying hello while I read through the posts


    hopefully this is just what im looking for looks like i have a lot to read.

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Ein Hinweis. Ein Blog gehört nur dem Schreiber und ist für ihn der Ort, um alles abzuladen - egal ob nichtssagend, reflektiert, unreflektiert, gewichtig, emotional, scheisse oder sonst was. Ein Blog ist auch ein bisschen als Zugang zu den Gedanken eines Menschen zu sehen, d.h. es ist ein Privileg mitlesen zu dürfen.