Mittwoch, Oktober 29, 2025

adieu.

Ich bin offiziell Patientin Null des Büro-Seuchen-Clusters 2025. Irgendwelche Viren haben beschlossen, dass mein Immunsystem ein Freizeitpark ist, und ich sitze hier, schniefend, mit glasigen Augen und der Energie eines halb aufgeladenen Handys. Aber natürlich noch in der Firma. Weil Vernunft offensichtlich etwas für Menschen mit Temperatur unter 38 Grad ist. Jeder Atemzug klingt wie ein alter Kühlschrank, die Nase läuft, die Glieder schmerzen und mein Kopf fühlt sich an, als hätte jemand Watte und Weltschmerz darin kombiniert. Ich beantworte Mails in Zeitlupe, trinke literweise Tee und überlege, ob ich mich gleich einfach unter den Schreibtisch legen soll, bis jemand mich nach Hause trägt. Kurz gesagt, es geht zu Ende. Es war schön mit Ihnen. Erzählen Sie meine Geschichte!

Dienstag, Oktober 28, 2025

dazwischen.

Vorher war die Welt noch ganz. Sie hatte Ecken und Kanten, an denen man sich festhalten konnte. Geräusche, die Sinn ergaben. Luft, die nach Alltag roch. Man ging durch die Stunden, ohne zu ahnen, dass man sie eines Tages zählen würde. Alles war beiläufig. Gespräche, Bewegungen, das eigene Atmen. Vielleicht war sogar Leichtigkeit da, dieses unbewusste Vertrauen, dass nichts Schlimmes passieren kann, solange man noch lacht. Man trat hinaus mit offenen Schultern, nicht nur weil man mutig war, sondern weil das Leben sich nicht gefährlich anfühlte. Und irgendwo zwischen Routine und Unachtsamkeit vibrierte etwas. Ein leises Unstimmigsein, kaum hörbar. Man ging darüber hinweg, weil man funktionieren wollte. Weil man glaubte, man habe Kontrolle. Und dann nur ein Klicken. Nur eine feine Verschiebung in der Atmosphäre, wie das Abfallen des Luftdrucks vor einem Gewitter. Das Herz beginnt, anders zu schlagen. Der Körper spürt es zuerst. Der Verstand ist noch höflich, lächelt. Und dann ist es zu spät.

Nachher ist alles still. Aber nicht diese gute Stille, die nach Frieden klingt. Sondern die Stille, in der nichts mehr atmet. Die Welt sieht gleich aus, aber sie berührt anders. Die Luft ist dieselbe, aber sie schneidet. Geräusche sind zu laut, Licht flackert, der Alltag klirrt gegen die Haut. Man sitzt in sich wie in einem brennenden Haus, das von außen unversehrt aussieht. Der Körper? Kein Zuhause mehr. Archiv. Eine Lagerhalle für Erinnerungssplitter. Ein Ort, den man meidet, obwohl man ihn trägt. Vorher war Vertrauen ein Zustand. Nachher ist es Arbeit. Vorher war man jemand. Nachher, jemand, der alles erinnert, ohne es fühlen zu dürfen. Denn Fühlen würde bedeuten, zurückzugehen. Und es gibt keinen Rückweg. Also legt man Schichten über die Haut. Viele Schichten. Zwischen sich und die Welt. Man lacht im Supermarkt, sagt: "Mir geht’s gut", obwohl man längst nicht mehr weiß, was das heißt. Überleben macht keinen Lärm. Es steht nicht auf, es ruft nicht um Hilfe. Es sitzt still in der Ecke und hofft, dass niemand merkt, dass etwas fehlt. Und an guten Tagen? An guten Tagen fühlt es sich fast an wie Leben. Aber nur fast.

Samstag, Oktober 25, 2025

fehlen.

Wenige Menschen hinterlassen keine Lücke, sie hinterlassen einen tiefen Abdruck. Wie eine warme Decke, die immer da war. Wie das weiche Licht, das morgens durchs Küchenfenster fiel, wenn sie schon längst wach war. Meine Oma war so ein Mensch. Sie war nicht laut. Aber wenn sie etwas sagte, dann blieb es. In mir. In der Art, wie ich manchmal meinen Tee halte. In der Stille, die ich heute auszuhalten gelernt habe. In dem Blick, mit dem ich manchmal andere anschaue, bevor ich etwas sage. Weil sie es auch so gemacht hat.

Seit fast zehn Monaten ist sie weg. Und es gibt Tage, da ist das nur ein Gedanke, der still neben mir sitzt. Und dann gibt es Tage, an dem alles ein bisschen grauer klingt. An dem die Welt so wirkt, als hätte sie ihren festen Halt verloren. An dem ich denke, ich könnte sie nochmal anrufen, um kurz ihre Stimme zu hören. Nur kurz. Nur ein bisschen Zuversicht durch die Leitung, wie früher. Sie fühlte sich immer an wie eine Umarmung.

Sie fehlt nicht wie ein Knall. Sie fehlt wie eine leise, zähe Sehnsucht. Wie eine Stelle im Herzen, die einfach nicht heilt, aber ruhig bleibt. Sie war nicht der Mensch, der sich in den Vordergrund drängte, sie war die, die im Hintergrund alles zusammenhielt. Und manchmal wünsche ich mir, sie wäre noch da, einfach um ihr zuzusehen. Wie sie in der Küche steht. Wie sie ihren Satz zu Ende denkt. Wie sie meine Hand nimmt, ohne dass ich erklären muss, warum mir gerade alles zu viel ist. Ich trage sie mit mir. In meinem Blick. In meiner Art, Menschen zu halten, wenn sie fallen. In meinem leisen Wissen, dass Stärke nicht immer laut ist, sondern manchmal einfach nur da.

Scheisse, Du fehlst mir.

Freitag, Oktober 24, 2025

Liebe im 21.Jahrhundert.

Liebe im 21. Jahrhundert. Sieht regelmäßig ein bisschen aus wie ein geteiltes Google-Kalenderblatt. Hier - ein Spagat zwischen Patchwork-Familie und Job, zwischen Deadline und Date-Night. Spannend finde ich, etwa 1 von 10 Familien in Europa lebt in einer Patchwork‑Konstellation. Über 35 % aller Ehen werden aktuell geschieden und rund 16 % der minderjährigen Kinder in Deutschland wachsen heute mit Stiefeltern oder in einer neuen Partnerkonstellation auf. Kindfreie Wochenenden werden gehandelt wie seltene Pokémon-Karten, Termine jongliert wie brennende Fackeln.

Knapp 70 % der Deutschen sagen, dass Zeitmangel die größte Herausforderung für ihre Beziehung ist. Mehr als 60 % verbringen weniger als eine Stunde bewusste Zeit täglich mit ihrem Partner. Es ist ein permanentes Austarieren. Man schickt Küsse als Sprachnachricht im Auto, plant Zärtlichkeit zwischen zwei Calls und freut sich über ein gemeinsames Frühstück, als wäre es ein Miniurlaub. Komplimente kommen per WhatsApp, Streit wird bei zu wenig Zeit auf „nachher“ vertagt. Man verhandelt, schiebt, priorisiert und hat manchmal das Gefühl, gegen die Kalender-App und den Alltagswahnsinn zu verlieren. Studien zeigen, dass moderne Beziehungen zunehmend Arbeit bedeuten. Kommunikation, Planung, Aushandlung und nicht mehr bloß Gefühle.

Trotzdem bleibt etwas. Vielleicht ist es gerade dieses Möglichmachen, das zählt. Die kleinen Pausen. Das Wissen, dass Nähe heute kein Selbstläufer mehr ist, sondern ein Plan, der immer wieder gegen das Leben antritt. Und manchmal reicht ein einziger gemeinsamer Tag, damit sich alles wieder richtig anfühlt. Ich denke, genau das ist das am Ende Liebe. Nicht Perfektion, sondern der Wille, sich immer wieder neu füreinander zu entscheiden. Mitten im Chaos, zwischen Sprachnachrichten, WhatsApp, Alltag, Projekten, Unruhe und Meetings.

Donnerstag, Oktober 23, 2025

morgenrituale.

Dieser Moment morgens in der Küche. Er trinkt seinen Kaffee aus der French Press, schmiert sich sein Brot fürs Office, es laufen Nachrichten. Wir sitzen am Tisch und diskutieren meist immer noch 20Minuten über gesellschaftspolitische Themen, die gerade thematisiert wurden oder reden darüber, was uns gerade beschäftigt. Es gibt noch ein paar Küsse und feste Umarmungen, bevor jeder in seinen Joballtag startet. Ich liebe wirklich alles daran. Unser kleines Morgenritual.

Mittwoch, Oktober 22, 2025

dinge.

Es sind nie die großen Gesten, die etwas besonders machen. Oft sind es die kleinen Dinge, die fast übersehen werden. Ein Satz, der hängen bleibt. Ein Blick, ein Kuss, eine zufällige Berührung zwischendurch. Das Kind, das Geburtstage notiert, die nicht ihre eigenen sind. Das beiläufige Wir. Manchmal merkt man erst später, dass man längst dabei ist ein Team zu werden. Nicht, weil man es geplant hat, sondern weil man aufgehört hat, gegeneinander zu laufen. Und plötzlich fühlt sich alles selbstverständlich an.

Dienstag, Oktober 21, 2025

anker.

Es gibt Erlebnisse, die fühlen sich an, als gehörten sie jemand anderem. Wie eine fremde Geschichte im eigenen Kopf. Man erinnert sich an alles, aber nichts davon sitzt wirklich in der eigenen Haut. Fragebögen werden schnell und rational ausgefüllt, als würde Geschwindigkeit schützen. Das Gefühl bleibt draußen, wie durch eine Scheibe. Es ist ein Schutzmechanismus: Lieber Beobachter sein als Betroffene. Irgendwo weiß ich, dass es meine Geschichte ist. Aber sie fühlt sich an wie ein Film, bei dem ich nur zuschaue. Kein Versagen, kein Fehler, sondern ein ziemlich kluger Trick des Kopfes, damit der Alltag weiterläuft. Dissoziation. Der Kopf zieht einen Schleier, damit man atmen kann. Handlungsfähig bleiben, statt unterzugehen, weil das, was zu groß ist, erstmal ausgelagert wird. Vielleicht holt es einen irgendwann ein, vielleicht auch nicht. Es ist, wie es ist.

Im dritten Bogen steht die Frage nach Suizidgedanken. Ich bleibe an dieser Zeile hängen. Wussten Sie, dass über ein Drittel der Frauen, die sexuelle Gewalt erlebt haben, laut internationaler Studien von Suizidgedanken berichten? Und etwa 13 Prozent einen Suizidversuch unternommen haben? Die Untermieterin ist mein unsichtbarer Anker, der alles hält. Felsenfest. Und dann gibt es Menschen, die nicht nachfragen, sondern einfach bleiben. Die die Schwere, die manchmal spürbar ist, nicht wegreden, aber auch nicht dramatisieren. Die einfach sagen: Ich bin für Dich zuständig, wir gehen den Weg gemeinsam. Mehr braucht es nicht. Am Ende bleibt dieser merkwürdige Trost, dass beides sein darf. Dass ich nicht erklären muss, warum es manchmal schwer ist, und trotzdem aus tiefstem Herzen lachen kann. Distanz und Nähe. Manchmal reicht das. Traumatherapie, here we come. Vielleicht zeigt sie am Ende genau das. Was bleibt, was geht, was irgendwann näher rückt und was nie ganz verschwindet.

ewig.

Man kann ziemlich lange so tun, als hätte man ewig Zeit. Entscheidungen werden auf einen Haufen gelegt, ordentlich geschichtet, nichts eilt, nichts drängt. Zeit genug, denkt man, bis alles von selbst verschwindet. Aber aufgeschobene Schnitte bleiben scharf, auch wenn man sie nicht sieht. Irgendwann muss man sich halt mal kümmern. Funktioniert erstaunlich gut, solange niemand nachfragt und das Leben im Provisorium okay ist, während draußen das Leben wartet. Am Ende ist es nur ein Gefühl, dass alles offen bleibt, weil niemand den letzten Schlüssel dreht. Die eigentliche Arbeit liegt in dem, was man nicht erledigt. Schnitte, die warten. Räume, die halb leer bleiben, weil noch zu viel Altes drinsteht. Irgendwann merkt man, dass man sich eingerichtet hat im Warten, dass kein neuer Anfang kommt, solange der letzte Schritt fehlt. Und dann sitzt man da, zwischen alten Kartons und dem Gedanken, dass das ja irgendwann noch geregelt wird. Nur irgendwann reicht’s nicht mehr und niemand lebt ewig. 

Montag, Oktober 20, 2025

loyalität.

Alte Geschichten, neue Rollen. Plötzlich steht jemand neben Dir und testet, wie stabil Dein Boden ist. Es geht selten um den Mann, fast nie um Liebe. Meistens um Bestätigung, Wert, Aufmerksamkeit. Wer sich selbst nicht genug ist, braucht den Blick von außen. Und manchmal reicht die eigene Bühne nicht mehr, dann wird beim anderen ausprobiert, ob da noch was zu holen ist. Das hat wenig mit Vertrauen zu tun und viel mit Angst, übersehen zu werden. Grenzen werden getestet, Loyalität steht auf dem Prüfstand. Wer bleibt, muss wissen, was es kostet. Und irgendwann entscheidet man: Freundschaft oder Frieden. Aber nie beides gleichzeitig.

alarmmodus.

Mein Körper weiß es vor mir. Nicht das Denken, nur die Sirene. Alles ruhig, sagt der Raum, aber innen läuft ein Protokoll. Herz im Alarmmodus, Haut als Sensor. Schweißgebadet. Die Luft zu scharf, die Stille zu laut. Kein Bild, keine Erinnerung, nur Mechanismus. Der Körper kennt Gefahren, die längst vergangen sind. Ich bleibe still, bis er versteht, dass nichts mehr brennt. Zähle meinen Atem wie Datenpunkte, warte, bis das Rauschen im Ohr nachlässt. Irgendwann wird es leiser. Nicht gut, nicht schlecht. Einfach weniger laut. Dann kann ich wieder schlafen, während irgendwo in mir jemand die Tür schließt und das Licht löscht.

Sonntag, Oktober 19, 2025

Zuhause

Manchmal ist das kein Ort, sondern ein Gefühl. Kein Dach, kein Schlüssel, kein fester Punkt auf der Landkarte. Sondern jemand, bei dem alles still wird. Da, wo kein Druck mehr ist, nichts erklärt werden muss. Wo Nähe nicht erst verhandelt, sondern einfach da ist. Man erkennt es daran, dass man nicht mehr sucht. Dass man ankommt, obwohl man nie wusste, dass man unterwegs war. Und wenn dieser Mensch „zu Hause“ sagt und eigentlich uns meint, dann versteht man leise, dass es zwar gerade erst beginnt. Nicht nur in Worten. Sondern in allem dazwischen. Und sich trotzdem schon nach viel länger anfühlt.

Freitag, Oktober 17, 2025

fragmente.

Zwei Felder, vermessen von Erinnerung und Widerstand. Keine Linie gerade, kein Verlauf berechenbar. und doch fließt alles ineinander, wie Wärme durch Metall. Ich war Länge, er war Takt. Aus meinen Fragmenten baute er keine Ordnung, sondern Atem. In seinen Sätzen war Raum, nicht Versprechen, eher die Möglichkeit, nicht mehr zu müssen. Wir sind kein Paar. Kein Muster, kein Modell. Sondern ein eigenes Gleichgewicht. Ein System aus gegenläufigen Strömungen, das sich selbst stabilisiert, weil wir beide wissen, was kippen heißt. Nähe ist Experiment, kein Fluchtpunkt. Ich lerne, dass Kontrolle nichts anderes ist als die schönste Form von Angst. Und er hat sie mir zurückgespiegelt, dass ich sie nicht mehr brauche. Wenn ich ihn ansehe, verliert der Raum kurz seine Schwerkraft. Nicht weil Liebe leicht wäre, sondern weil sie in diesem Moment keine Beweislast trägt. Und vielleicht ist genau das der Punkt, an dem man bleiben kann.

Mittwoch, Oktober 15, 2025

bestand.

In letzter Zeit merke ich, wie sich Dinge in mir verschieben, auch wenn nach außen alles gleich aussieht. Manche Routinen fühlen sich plötzlich fremd an, manche alten Sicherheiten tragen nicht mehr. Ich habe angefangen, mehr wegzulassen als dazu zupacken. Es geht nicht darum, alles neu zu machen, sondern leiser zu werden, klarer, vielleicht auch ehrlicher mit mir selbst. Veränderung fühlt sich selten an wie ein großer Schritt. Eher wie eine Reihe kleiner Entscheidungen, die man trifft, ohne sie groß auszusprechen. Was nicht mehr passt, bleibt zurück. Was bleibt, hat Bestand. Gerade reicht das.

Dienstag, Oktober 14, 2025

Buchstabenreserve.

Plan B ist der stille Zweitschlüssel unter der Fußmatte. Man legt ihn dort ab, falls man sich selbst aussperrt, und irgendwann vergisst, wie man eigentlich nach Hause kommt. Plan B riecht nach kaltem Rauch und aufgeschobenen Entscheidungen. Er steht in der Ecke, lehnt an der Wand, wartet auf den Moment, in dem Mut sich in Vorsicht verwandelt. Es ist eine Flucht auf Raten. Ein Rückzugsbunker, eingerichtet mit guten Argumenten und altem Misstrauen. Doch wer einen Plan B hat, bleibt nie bei Plan A. Er hält den Motor im Leerlauf, damit er nie stehenbleibt, und merkt nicht, dass Stillstand auch eine Richtung ist. Aus Plan B wird Plan C, dann D, und so weiter. Buchstabenreserven gegen den Absturz. 

Fluchtarchitektur, perfekt berechnet, statisch stabil, emotional gedämpft. Jede Ebene trägt die nächste, bis man vergisst, in welchem Stock man eigentlich wohnt. Sicherheit wird zum Labyrinth, gebaut aus Rückzugslogik und Restzweifel, mit Türen, die alle nach draußen führen. Pläne riechen nach Metall, nach laufenden Motoren, die nie losfahren. Wer immer Türen offenhält, steht nie wirklich im Raum. Irgendwann muss man den Schlüssel wegwerfen. Nicht aus Vertrauen. Sondern, weil man sonst ewig draußen bleibt. Plan A reicht. Alles andere ist Angst in schöner Verpackung. Loyalität ist kein Bonus.

Montag, Oktober 13, 2025

trotzdem.

Ich habe irgendwann aufgehört zu glauben, dass Menschen berechenbar sind. Das Leben hat mich gelehrt, jeder kann alles. Im Guten wie im Schlechten. Also rechne ich mit allem. Das schützt mich. Und es macht mich unbeeindruckbar. Wer jedem alles zutraut, wird selten überrascht. Man lässt nichts mehr wirklich nah ran, weil man innerlich schon weiß, wie’s ausgehen könnte. Es fühlt sich schlau an. Und sicher. Aber Sicherheit hat ihren Preis. Vertrauen passiert nicht automatisch. Es ist eine bewusste Entscheidung. Eine, die man trifft, obwohl der Körper noch weiß, wie es war, als alles zusammengefallen ist. Ich übe das. Nicht blind, nicht romantisch, einfach realistisch. Angst gehört dazu. Ich weiß, wie sich Enttäuschung anfühlt. Und trotzdem lasse ich es zu. Denn Kontrolle schafft keine Nähe. Und irgendwann reicht’s, alle im Voraus schuldig zu sprechen. Ich denke, genau das ist der Punkt. Vertrauen, obwohl man es besser wissen müsste. Nicht hoffen, dass jemand bleibt, sondern zulassen, dass es überhaupt möglich ist.

Freitag, Oktober 10, 2025

schweigen.

Manche Menschen gehen nicht weg, sie verschieben sich. Ein Stück zur Seite, ein paar Stunden, einen Tag. Gerade so weit, dass man sie nicht mehr greifen kann. Sie nennen es Raum, Zeit zur Selbstregulation. Distanz als eine Form von Selbstfürsorge. Und während sie das sagen, prüfen sie, ob Du bleibst, ob Du wartest, ob Du das Aushalten kannst. Es ist kein Bruch, nur ein leises Entziehen bis die Wut sich legt, fast unscheinbar, aber Du spürst es im ganzen Körper. Manchmal ist Schweigen lauter als jeder Streit.

Donnerstag, Oktober 09, 2025

häutung.

Es war, als hätte ich etwas in mir jahrzehntelang eingesperrt. Fest verschnürt, tief vergraben, gut bewacht. Abgekapselt. Weggeschnitten. Und dann, neulich Abends, saß ich da mit einer meiner engsten Freundinnen, und plötzlich war da kein Halten mehr. Die Worte kamen einfach. Mit ihnen die Tränen. So viele Jahre Scham, Wut, Schmerz. Alles, was ich geglaubt hatte, längst kontrolliert zu haben, stand auf einmal im Raum. Nackt. Ungefiltert. Und zum ersten Mal war da kein Urteil. Nur Stille. Wärme. Verständnis. Schmerz. Und Tränen. Sie nahm meine Hände und weinte einfach mit. Es war, als würde ich mich häuten. Schicht für Schicht fiel etwas Altes von mir ab, etwas, das nicht mehr zu mir gehört. Ich fühlte mich wund und roh und gleichzeitig freier als je zuvor.

Vielleicht ist Heilung genau das. Nicht ein großes Verzeihen oder Vergessen, sondern dieser stille Moment, in dem man sich selbst wieder spürt und einfach anfängt hinzuschauen, was es mit einem gemacht hat und was geblieben ist. 

Mittwoch, Oktober 08, 2025

anatomie.

Das feine Vermessen von Schmerz, Zentimeter für Zentimeter. Ein Wort zu viel und irgendwo tief im Körper zuckt etwas, das längst weiß, was hier passiert. Ein stilles Wissen darum, was trifft. Nichts davon ist Zufall. Es ist das Prüfen, wie weit sich Nähe dehnen lässt, bevor sie reißt. Ein stilles Experiment mit Herzfasern. Und während der andere noch lächelt, wird im Inneren längst gezählt, wie oft man sich selbst verschlucken kann, bevor man verschwindet.

Montag, Oktober 06, 2025

richtung.

Es gibt Begegnungen, die schleichen sich wie Echo ein. Kaum hörbar, aber sie bleiben. Zwei Menschen kreisen umeinander, wie Planeten mit eigenem Orbit, angezogen und doch vorsichtig, damit nichts kollidiert. Einer wagt Nähe, der andere zieht Linien in den Sand. Nicht aus Gleichgültigkeit, sondern aus Vorsicht. Weil das, was entstehen könnte, größer wirkt als das, was man kontrollieren kann. Zwischen ihnen nichts Lautes, nur ein stetiges Knistern, das nie ganz verschwindet. Man nennt es Abstand, dabei ist es ein Tanz. Ein Vor und Zurück, ein unmerkliches Ziehen unter der Haut. Zu früh, zu spät, zu nah, zu weit. Und irgendwann, ganz leise, ohne großes Zeichen kippt die Achse. Die Bewegung hört auf, das Muster bleibt stehen. Zwei Linien, die nie füreinander gedacht schienen, zeichnen plötzlich dieselbe Richtung. Kein Knall. Kein Feuerwerk. Nur ein stilles, unausweichliches "Jetzt“.

Sonntag, Oktober 05, 2025

entscheidung.

Liebe ist kein glattes Feld. Manchmal stolpert man über Kanten, die man selbst gelegt hat. Über Gedanken, die zu laut sind, Gefühle, die zu tief greifen und Mauern, die man längst hätte einreißen können. Es gibt Tage, da bin ich Sturm statt Wind, eine Welle, die zu hoch schlägt, ein Feuer, das zu nah kommt. Und trotzdem bleibst Du. Nicht, weil es leicht ist, sondern weil Du siehst, was bleibt, wenn der Sturm sich legt. Das ist keine Selbstverständlichkeit. Das ist Entscheidung. Jeden Tag. Und irgendwo dazwischen entsteht das, was man Liebe nennt. 

Samstag, Oktober 04, 2025

linien.

Manchmal laufen zwei Linien jahrelang nebeneinander, ohne sich zu berühren. Sie kreuzen Wege, verlieren sich aus dem Blick, ziehen ihre eigenen Kreise. Und irgendwann – viel später – merkt man, dass sie in die gleiche Richtung wollten.

Freitag, Oktober 03, 2025

hip hip hooray!

Die Untermieterin wird heute 14. In Worten: vierzehn! Keine Ahnung, wann das passiert ist. Gestern war ich doch noch schwanger und dieses Kind mit den wilden blonden Locken und der süßen Stimme lag plötzlich in meinen Armen. Ich erinnere mich, wie mir an diesem sonnigen Sonntagmorgen die Fruchtblase sprang und diese kleine Rakete es sich in letzter Sekunde anders überlegte, nochmal falsch herum drehte - und dann seelenruhig weiterschlief, anstatt beim Auszug aktiv mitzuwirken. Nach über 25 Stunden Wehen war ich kurz davor, wirklich alles hinzuschmeißen und lieber in eine Bar zu gehen und mir einfach einen Drink zu genehmigen. Dann war sie endlich da. Und ich einfach nur sehr erleichtert, dass diese Schmerzen vorbei waren.

Und jetzt? Jetzt ist sie ein Teenager. Sie nennt mich regelmäßig „Mutter“, wenn sie mich ärgern will. Benutzt neuerdings Wimperntusche, trägt bauchfreie Tops, stylt wirklich jedes Outfit und rollt die Augen, als wäre es ein Sport. Und trotzdem braucht sie noch so viel Liebe, Nähe und Rückversicherung, auch wenn sie sich manchmal schon ein bisschen zu cool dafür fühlt. Neulich in der Stadt erklärte sie mir mit ernster Miene, dass sie ab sofort meine Hand nicht mehr in der Öffentlichkeit nehmen könne, falls uns Kids aus der Schule begegnen. Meistens vergisst sie es aber schnell wieder und greift doch nach meiner Hand. Mal sehen, wie lange noch. Ich halte sie, solange ich darf.

Es ist verrückt, wenn ich sie anschaue und mich selbst in ihr sehe. Sie sieht aus wie ich in ihrem Alter – nur klüger, witziger, empathischer. Sie reift zu einer wunderbaren Persönlichkeit heran. Mein kleiner Nerd. Ich liebe unsere Gespräche, ihr Lachen, ihre Gedankengänge. Ich sehe, wie sie sich selbst findet, ihre Fähigkeiten begreift, wie sie mutiger wird, wie sie die Welt erobert. Und ich weiß, sie wird ihren Weg gehen.

Es ist schon wild, wenn ich auf den Weg zurückschaue, den wir gegangen sind die letzten Jahre. Ich habe mir so oft Sorgen gemacht, ob ich das alles allein schaffe. Ob sie heil bleibt. Ob wir heil bleiben. 7,5 Jahre nur wir zwei. Nächte voller Fragen, Tage voller Verantwortung. Und heute sehe ich uns und denke nur: „Verdammt, wir haben das richtig richtig gut gerockt.“ Wir sind so ein krasses Team. Und ja, unser Team ist ein Stück gewachsen dieses Jahr und selbst das läuft besser, als ich es mir hätte wünschen können. Es fühlt sich so natürlich an, als hätte es nie anders sein sollen. Wir sind einfach solche Glückskinder. 

Hip hip hooray, Du Rakete! 

Donnerstag, Oktober 02, 2025

momente.

Am Ende sind es nicht die großen Tage, die uns tragen. Es sind diese kleinen Augenblicke, die oft unbeachtet bleiben und doch alles ausmachen. Das gemeinsame Lachen, wenn etwas nicht so klappt, wie es soll. Ein kurzer Blick, der mehr sagt als tausend Worte. Der Moment, in dem eine Hand ganz selbstverständlich die andere findet. Das gemeinsame Abendessen bei gewöhnlichen Gesprächen, auch wenn es nur Pizza aus dem Karton ist. All das wirkt nach. Nicht, weil es besonders spektakulär ist, sondern weil es authentisch ist. Weil es zeigt, dass Nähe nicht in Feuerwerken liegt, sondern im Miteinander, das sich selbstverständlich und so normal anfühlt. Ein Gefühl von Zuhause entsteht nicht in Pracht, sondern in diesen scheinbar unscheinbaren Momenten, in denen man spürt: ich bin gesehen, ich bin gemeint, ich gehöre dazu.

projektionsfläche.

Ungerecht behandelt zu werden, tut weh. Vorwürfe schneiden am tiefsten, wenn man weiß, dass man loyal ist und das immer wieder gezeigt hat.

Es passiert schnell, dass man nicht mehr als Mensch gesehen wird, sondern als Projektionsfläche. Dann zählen nicht mehr die eigenen Worte oder Handlungen, sondern nur noch die Schatten der anderen. Unsicherheiten, Ängste, alte Geschichten. All das landet plötzlich bei einem, obwohl es gar nicht das Eigene ist.