Mittwoch, Juni 18, 2025

flickzeug.

Die eigene Geschichte wiegt manchmal mehr, als man in der Gegenwart denkt. Das ganze Leben besteht aus vielen Geschichten, Vergangenheiten, Gegenwarten und Zukünften. Die eigene Geschichte ist wie das Hintertor der Seele, das Dich in einen großen, dunklen Raum bringt, in dem verschmutzt in kleinen alten Gefäßen, die Du vor langer Zeit wegstellt hast, Deine Erlebnisse und Erfahrungen ruhen, die Du mehr oder weniger sauber verstaut hast. Es gibt Gute und Schlechte. Manche sind nicht zuzuordnen. Das eine Gefäß war mal länger geöffnet als das andere. Doch richtig gemein sind die, bei denen die Gummierung oben am Rand nicht ganz dicht ist, so dass Du immer mal wieder in Deinem Leben daran drehen musst, damit sie fest verschlossen bleiben. Du hast an ihnen gerüttelt, hast Dir Flickzeug gekauft, um sie zu reparieren, aber ein klein wenig Rand ist immer kaputt. 

Und so passiert es, dass wenn die Gegenwart zu viele Aufgaben bereit hält, keine Zeit bleibt, Dich um die kaputten Gefäße zu kümmern, ihre Deckel nochmal nachzuziehen und dafür zu sorgen, dass sie das Glas gut verschließen. Dann kommen sie raus, die Erlebnisse, Erinnerungen und die Gefühle, die damit verbunden sind. Sie kommen durch die Hintertür in Deine Seele und in Dein Herz. Und es ist manchmal sehr schwer mit der eigenen Geschichte umzugehen. Viele Menschen sind gute Schauspieler, die sich und der Welt vorspielen, ihre Geschichte überstanden zu haben. Und so sehr man es sich wünscht, die Geschichte ruht nicht. Manchmal haben einen die Erlebnisse nicht nur geprägt, sondern sie haben sich in Deine Haut gebrannt und die allgemein bekannten, riesigen Wunden hinterlassen. Von Zeit zu Zeit vernarben sie, um dann unerwartet wieder aufzureißen und Zeit brauchen, um wieder einigermaßen zu verheilen.

Einige Probleme, die man hat, wurden nicht durch Personen ausgelöst, die man zunächst verantwortlich machte, sondern davon welche Gefühle sie auslösen und wie das eigene ich, das wahrhaftige, reine ungeschauspielerte Ich damit umgeht. Und wenn bei diesem Ich gerade zu viele Gefäße geöffnet sind, kann es Gegenwart und Vergangenheit, Personen und Gefühle und Erfahrungen nicht mehr voneinander trennen und landet immer wieder an dem gleichen Punkt: dass man alleine da steht und versucht, die Gefühle einzufangen und wieder zu verschließen und erkennt, dass man das nur alleine kann, niemand Schuld an der Misere hat und es nur darum geht, wie Du die Dinge für Dich regelst.

Schaff den Absprung. Spring weg von der Wunde. Öffne die Gläser und lege Deinen Blick auf Neues!

Donnerstag, Juni 12, 2025

sockenlos.

Heute Nacht von meiner Oma geträumt. So real. Sockenlos. 

Und vielleicht geht es im Leben manchmal genau darum: mitten im Suchen, Hetzen und Verlieren einen Moment zu finden, der bleibt. Eine feste Umarmung, die nicht neu ist, sondern zurückkommt, aus der Erinnerung, aus dem Gefühl, aus der Liebe, die geblieben ist. Und dann spürt man, für einen ganz kurzen Augenblick: Ich bin angekommen. Nicht weil alles gut ist. Sondern weil da etwas war – oder jemand –, das getragen hat. Und irgendwie immer noch trägt, obwohl dieser Mensch längst diese Welt verlassen hat. 

Was hatte das Bild mit den fehlenden Socken zu bedeuten?

Dienstag, Juni 10, 2025

vielleicht.

Vielleicht habe ich neulich eine Zahnbürste für jemanden gekauft. Und vielleicht hat er gefragt, ob er die hier lassen kann. 

Ich wäre nicht ich, wenn ich mich nicht noch regelmäßig über die eine Zahnbürste mehr in der Schublade wundern würde, aber es fühlt sich ziemlich gut an. 

Sonntag, Juni 08, 2025

kryptonit.

Du bist wie eine Narbe. Keine rote, wulstige, die für jeden sichtbar ist. Nein, eine kleine, feine, versteckt an einer Körperstelle die meist bedeckt ist. Ein beinahe weißer Strich, der sich nur im Sommer wirklich von meiner leicht gebräunten Haut abhebt. Ein glatter Strich, ohne Risse und Fasern. Genauso wie Dein Ende. 

Eine Narbe, nur sichtbar, wenn ich Menschen ganz nah an mich heranlasse. Wenn ich meinen dicken Pullover ablege, mich ungeschickt bewege und man für einen Moment mehr Haut sieht als erwünscht. Auf einmal wird sie erblickt, die Narbe die ich so gut zu verbergen versuche. Dann kommen Fragen dazu. Und ich möchte so viel erzählen, doch danach bereue ich es stets. Ich blicke in betrübte, beschämte Gesichter. Bei belanglosen Fragen erwartet man nie eine traurige Antwort. Du warst mein Leben, meine Liebe, aber auch mein Kryptonit.

Du bist wie eine Narbe. Manchmal juckst Du, ganz aus dem Nichts und mein kratzen lindert es nicht. Mich erfasst dann eine tiefe Trauer, die mir wortwörtlich die Luft nimmt. Doch manchmal bist Du auch unsichtbar, auch für mich. Die Welt dreht sich weiter. Das zu verstehen kostete mich verdammt viele Stunden, viele Flaschen Weißwein und ein sehr langes Zwiegespräch mit - falls es ihn denn gibt - einem Gott.

So ist das mit Narben. Sie bleiben auf der Haut zurück als Reaktion auf etwas Schmerzhaftes, etwas Einschneidendes. Genau das ist mit meinem Herzen passiert. In dem Moment, als ich den Anruf entgegennahm. Genau in diesem Moment ist der Platz in meinem Herzen, der für Dich reserviert war, explodiert und hat mein Herz zerfetzt.

Der menschliche Körper ist ein unglaublich effizient arbeitendes Konstrukt, ich hätte nie gedacht mich davon zu erholen. Wir überstehen viel mehr, als wir denken. Seither trage ich Dich als Narbe mit mir herum.

Freitag, Juni 06, 2025

irgendwann.

Du sagst, Du liebst mich. Nicht nur heute, sagst Du und lächelst. Du meinst, Du könntest mich glücklich machen, dass ich Deinetwegen nie wieder traurige Texte schreiben müsste. Manchmal, sagst Du, wartet man so sehr auf etwas, dass man all die anderen offenen Türen übersieht. Und Du findest, ich hätte genug gewartet. Dass sich Türen manchmal melden müssten. Laut und deutlich. Damit man sie nicht übersieht. Und jetzt stehst Du vor mir, laut und deutlich – und lächelst. Während ich still auf den Boden starre, mit dem Fuß kleine Kiesel hin und her rolle, als wäre das das Einzige, was gerade zählt.

„Liebst Du mich auch, wenn ich nicht gut gelaunt bin?“, frage ich, ohne den Kopf zu heben. „Wenn ich Dich niemals ganz an mich heranlasse, Dich wegstoße, an Dir reiße, vor Dir fliehe. Wenn ich kalt bin, mich tagelang zurückziehe, nicht auf Deine Anrufe reagiere, Deine Nachrichten ignoriere. Würdest Du mich dann immer noch lieben? Wenn ich Deine Nähe nicht aushalten kann… und Dir nie versprechen könnte, dass Du der Einzige für mich bist – wärst Du dann trotzdem noch da?“

Ich sehe Dich nicht an, aber ich weiß, dass Du gerade Deine Finger gegeneinander drückst. Dass Du auf Deiner Unterlippe kaust. Dass Du Dir eine Haarsträhne hinters Ohr schiebst. „Man kann sich nicht aussuchen, wen man liebt, oder?“, sagst Du. Ich höre das Kratzen in Deiner Stimme. Spüre das Stechen in meiner Brust. Die Worte bleiben mir im Hals stecken. Ich schüttle nur den Kopf, ziehe mit dem Fuß eine Spur in den Kies. „Dann werde ich Dich wohl weiterhin lieben, so wie Du ihn immer noch liebst. Auch wenn mich das traurig macht“, sagst Du. Und lächelst wieder.

Ich höre, wie Du aufstehst. Will nicht hochsehen. Nicht nach dem Kratzen in Deiner Stimme. Bis ich Deine Hand auf meiner Schulter spüre. „Irgendwann sieht man die neuen Türen“, flüsterst Du. Streichst mir eine Strähne hinters Ohr, drückst mich kurz an Dich, küsst mich auf die Stirn und gehst zurück zu den anderen. „Irgendwann sieht man die neuen Türen… und schließt die alten ab.“

Montag, Juni 02, 2025

betrunken.

Ich will mit Dir betrunken durch die Straßen laufen. Nachts, lachend, glücklich, gedankenlos und frei. Huckepack auf Deinem Rücken. Du und ich. Arm in Arm. Ich will bei Dir sein, wenn Du schläfst, wenn Du am nächsten Morgen erwachst und mich lächelnd ansiehst. Dich küssen. Will Dir nahe sein, jeden Augenblick genießen. Ich will, dass Du meine Hand hältst, wenn die Welt zu laut ist und sie nie loslässt. Will mich verlieren in Momenten, in denen nichts zählt außer Deinem Blick.