Sonntag, Mai 09, 2010

behindert.

Erst auf den dritten Blick erkannte ich, dass der Mann, der an der Haltestelle neben mir stand, das Down Syndrom hat. Er lächelte jedem absolut offen entgegen, winkte und hüpfte vor Freude als schließlich unsere Straßenbahn kam. Er setzte sich auf dem Dreisitzer neben mich, stellte seine Tasche ordentlich zu seinen Füßen und man spürte, wie aufregend und spannend diese Fahrt für ihn ist. Einfach herzig zu beobachten. Zwei Stationen später stieg ein Freund von ihm, scheinbar ebenfalls geistig behindert, dazu und setzte sich auf den freien Platz zu uns. Die Beiden begrüßten sich herzlichst und sein Freund begann aus seinem Drachenbuch vorzulesen. Ich liebe ja vorlesen bzw. vorgelesen zu bekommen. Das war ein unheimlich schöner und rührender Moment. Dieses unverfälschte Ausdrücken von Emotionen - beeindruckend, authentisch & beneidenswert. In meinen Ohren sang George Michael währenddessen leise "Praying for Time" und aufeinmal ging mir durch den Kopf, dass ich die eigentlich Behinderte von uns Dreien auf dieser Bank bin, mit meinem oftmals ungeheuer kontrolliertem Verhalten. Quasi behindert, weil gehindert - nur anders. Und das ich von Beiden noch eine Menge lernen und mitnehmen kann.

Und bevor eventuell die Diskussion aufkommt, ich werte damit keine geistigen Behinderungen herab!

21 Kommentare:

  1. guten morgen liebe frau eiskalt,

    welch eine schöne begegnung.....!!!

    ein wunderschönes wochenende für dich

    ganz liebe grüße
    sabine

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  2. Hallo!

    Nein, der Beitrag ist definitiv keine Abwertung - im Gegenteil. (finde ich)
    Manchmal habe ich das Gefühl, daß solche Menschen besonders sind. Sie sind ehrlich und offen - und manchmal, so habe ich das Gefühl, glücklicher als wir - weil sie nicht so viel nachdenken. Schöne Situationen nicht gedanklich zerlegen und analysieren, sondern weil sie alles was kommt einfach so nehmen, wie es ist, und das hier und heute scheinbar immer mit einem Lächeln leben...

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  3. schönes erlebnis :-)
    ich glaube auch, dass geistig behinderte gegen uns im vorteil sind :-)
    viele "gesunde" wären vielleicht aufgestanden und hätten sich nicht wohlgefühlt...
    schönen sonntag!

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  4. Süsses Posting, welches zum Nachdenken anregt.

    Wir sind die "gehinderten", ja!

    Wir laufen viel zu vielem hinterher. Geld, Ruhm, Macht. Und haben wir etwas Schönes erreicht, sind wir nach kurzer Zeit oftmals wieder unzufrieden. Es reicht irgendwann nicht mehr, und wir wollen noch Schöneres, Besseres, Teureres.

    Und viele von uns sind unglücklich. Schauen immer nur nach oben, niemals nach unten.

    Dabei wäre es so einfach, sich am Leben zu erfreuen. Einfach sich auch mal an den "kleinen" Dingen des Lebens erfreuen. Eine Strassenbahnfahrt, ein Drachenbuch, Sonnenschein, zwitschernde Vögel ...

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  5. ... und wir sollten für vieles einfach dankbar sein. Auch für uns scheinbar Banales, oder eben aus unserer Sicht "unwichtige" Kleinigkeiten.

    Dankbarkeit ist der einzige Weg, innere Zufriedenheit zu erlangen. Und nur dies kann uns zu einem Leben voller Fülle und Reichhaltigkeit bringen.

    Menschen, die ewig jammern, haben verlernt, dankbar zu sein ...

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  6. Hallo,
    danke für diese wunderbare kleine Episode... ich denke auch oft daß wir von behinderten Mitmenschen viel lernen könnten, denn sie betrachten die Welt mit dem Herzen und davon könnte sich so mancher Nichtbehinderte eine dicke Scheibe abschneiden... ist es nicht manchmal zum K..., wieviel Herzlosigkeit so um einen herum ist?
    Ich wünsche dir ein schönes restliches Wochenende!
    Anna

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  7. Ich finde es immerwieder liebenswert und symphatisch, wie Du mit offenen Augen und offenem Herzen durch die Welt gehst und uns davon berichtest.
    An dieser Stelle erinnere ich mich an "Willkommen in Holland" http://autismus-kultur.de/autismus/eltern/willkommen-in-holland.html

    Liebe Grüße, Jana

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  8. du würdest aber trotzdem nicht freiwillig mit einem von ihnen tauschen, oder?

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  9. Du wertest damit doch keine geistige Behinderung ab - eher auf. Und du hast völlig recht, das selbe hab ich auch schon ein paar Mal gedacht.

    Allerdings würde ich trotzdem nicht freiwillig tauschen wollen, auch wenn diese Leute sicherlich "sorgloser" leben als wir "normale". Vielmehr sollten wir uns wirklich eine Scheibe davon abschneiden, und uns klar machen wie gut es uns eigentlich geht, und etwas weniger verbissen leben, als es so mancher tut. ;)

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  10. Meine beiden Geschwister sind behindert und trotzdem sehr liebenswert. Ich genieße die Momente mit ihnen da ich selbst dadurch ruhiger und friedlicher bin. Ich weiß aber auch von den Problemen und Hindernissen denen sie begegnen und die alles andere als leicht sind. Ich finde es sehr schön, dass du so einen Moment erleben konntest, denn das bereichert einen selbst unheimlich.

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  11. Hallo :)

    Wunderschön geschrieben und erzählt. Ein Erlebnis das berührt :)

    Einen schönen Abend noch

    Su

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  12. ich versteh was du meinst,schönes Erlebnis...kennst du Ohrenkuss?

    http://www.ohrenkuss.de/

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  13. Schräger Vergleich, aber ich verstehe.

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  14. Es gibt Kulturen, in denen werden geistig behinderte als " von den Göttern geküsst" bezeichnet.

    So weit würde ich nicht gehen wollen, aber deine Geschichte zeigt deutlich auf, wie sehr die "Gesunden" sich selber das Leben schwer machen, weil sie verlernt haben, sich an den "kleinen Dingen" zu freuen, weil sie immer die neidisch betrachten, denen es doch soooo viel besser geht und weil sie nicht nach unten blicken.

    Ich freue mich jedesmal, wenn ich beim Hundespaziergang Hans im Wald begegne. Er hat auch das Down-Syndrom und er hilft mir jedesmal die Ruhe und Entspannung zu finden, die ich eigentlich suche, da er mir zeigt, was das Wesentliche ist.

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  15. ab und an hab ich auch mit solchen leuten zu tun, wer mehr behindert ist, ist oft fraglich. sie leben in ihrer eigenen welt mit eigenem denkmuster das für uns "normale" wohl unerreichbar scheint. sie sind offen, freundlich und unvoreingenommen, eigentlich immer.

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  16. @Sabine: Na ich hoffe, Du hattest ein ebenso tolles We ;)
    Ja, diese Begegnung ging irgendwie sehr unter die Haut. Ich hätte losheulen können & das passiert selten.
    Liebste Grüße nach Bonn

    @Jade: Du hast absolut recht mit Deinen Worten. In meinen Augen sind diese Menschen definitiv ganz besonders. Sie leben absolut im hier und jetzt – sie sind sorgenfrei und drücken ihre Emotionen unmittelbar aus, egal ob Zuneigung oder Ablehnung. Das beeindruckt mich unheimlich und es macht mich glücklich, dass zu sehen. Auf der anderen Seite macht es mich traurig, um die Schwierigkeiten & Ablehnungen zu wissen, denen sie im Leben oftmals gegenüber stehen. Es macht einem aber auch bewusst, dass man eigentlich gar nicht weiß, wie Menschen mit dem Down Syndrom wirklich denken & fühlen. Das stimmt mich nachdenklich.

    @Bluhnah: Mit Sicherheit wären viele „Gesunde“ aufgestanden und hätten sich umgesetzt, weil es ihnen unangenehm oder peinlich gewesen wäre. Schade für sie, denn es ist schon interessant die Welt ansatzweise durch die Augen eines geistig Behinderten zu sehen. Den Vorteil sehe ich ausschließlich auf der Ebene Gefühle auszudrücken und Dinge wahrzunehmen – alles andere ist da schon sehr viel komplexer & komplizierter.

    @Nili: Was Du schreibst lässt sich ganz einfach zusammenfassen, wir wünschen uns manchmal bestimmte Dinge so sehr, dass wir vergessen warum. Und neben all dem Streben verliert man irgendwann das Wesentliche aus den Augen. Das wird natürlich noch negativ beeinflusst durch die vielen Ablenkungen, Oberflächlichkeiten & Schnelllebigkeit heutzutage. Allerdings empfinde ich mit den meisten Menschen auch kein Mitleid... sie haben verlernt wahrzunehmen, reflektieren, genießen und leben. Dabei gibt es, wie Du schreibst, täglich so banale tolle Sachen, an denen man sich erfreuen kann und für die man dankbar sein sollte. Ich nehme mich da nicht ganz aus, aber man lernt dazu ;))

    Ach Menschen, die ewig jammern sollte man alle auf einer Insel aussetzen – ich hasse es – die wissen doch oft schon gar nicht mehr, warum sie überhaupt jammern und dann sind eh immer alle anderen Schuld. Wie heisst es so schön? „Liebe es, ändere es oder lass es!!!“
    Ich drück Dich.

    @Anna: Das unterschreibe ich genau so :) Danke für Deine Worte und ja, es ist schwer sich mit der zunehmenden Herzlosigkeit und Ellenbogenmentalität zu arrangieren.
    Dir eine schöne Woche!

    @Jana: Herzlichen Dank :) ...ich beobachte unheimlich gern meine Umwelt & lasse die Eindrücke auf mich wirken, obwohl das nicht immer gelingt, aber es ist ein schöner Ausgleich zu meinem sonst sehr schnellem Leben. Danke für den Link – werde ich mir auf jeden Fall anschauen :)
    Liebe Grüße

    @Dentdelion: Nein, ich würde nicht freiwillig tauschen wollen. Diese Begegnung erdet mich nur wieder ein Stück und wie Judy schreibt, es führt ins Bewusstsein, wie dankbar wir sein sollten, dass wir „gesund“ sind und ohne jede Einschränkung leben können.

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  17. @Judy: :) Danke.
    Du sprichst mir, wie so oft, aus der Seele ;)


    @Bittersweetkiss: Danke für Deine Offenheit :) Eine persönliche Frage habe ich. Hast Du Dich jemals dafür geschämt, dass Deine Geschwister behindert sind? Ich hatte als Kind lediglich Berührungspunkte mit zwei geistig behinderten Nachbarjungen, mit denen ich gern gespielt habe... für mich waren die aber auch irgendwie nicht wirklich behindert, sie waren nur langsamer & gutmütiger in allem. Und vor einigen Jahren habe ich eine Familie kennengelernt, deren Sohn Autist ist – da habe ich zum ersten Mal wirklich gesehen, was es bedeutet und welche Konsequenzen es nach sich zieht. Alles Erlebnisse, die mich bereichert und dankbarer gemacht haben. Und ja, diese Menschen strahlen eine unglaubliche Kraft und Ruhe aus :)

    @Su: Danke Dir :) und einen entspannten Montagabend!


    @Schuschan: Tausend Dank für den Link/ Hinweis...ich hab's mir angeschaut, hatte wieder eine dicke Gänsehaut und bin begeistert, dass es so etwas gibt. Die Zeitschrift werde ich abonnieren :)


    @Zeigefinger: Schräg. Das dachte ich auch und war etwas unsicher, ob man das so überhaupt sagen darf.

    @Exhausted: Das ist ein schönes „Bild“ :)
    Hach Herr Exhausted, ich könnte sie grad drücken und wünsche jedem einen Hans. Bei mir um die Ecke wohnt ein Mann, der seit einem Schlaganfall geistig beeinträchtigt ist, den treffe ich öfter auf dem Weg zum Einkaufen oder helfe ihm über die Straße. Er ist einfach liebenswert und „mein Hans“.

    @Riese: Sie leben in ihrer eigenen Welt, richtig :)

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  18. ja aber das wissen sie nicht. und das ist gut so, das sie es nicht wissen, das erhält ihnen ihre natürlichkeit.
    hier im marienstift und in der werkstadt ist ein sammelsorium von ihnen vorhanden. egal wann ich da auftauche, ich habe noch nie unfreundlichkeit zu mir erlebt.
    sie leben in ihrer eigenen welt, sind aber viel viel cooler drauf als wir "normallos"!

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  19. @Riese: Meinst Du denn sie würden es verstehen, wenn man's ihnen erklärt?
    Ich ziehe den Hut vor den Menschen, die mit Behinderten arbeiten. Ich weiss nicht, ob ich das könnte. Ich hätte Angst, dass ich Mitleid habe oder aber zu ungeduldig wäre.

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  20. Sehr schön zu lesen und du hast sowas von recht. Diese Leichtigkeit zu sehen mit der sie durch den Tag gehen ist schon beneidenswert. Oftmals denke ich auch daran wenn ich meine Kids sehe. Wie schön es doch wäre mal wieder nur für einen Tag so unbefangen durch leben zu gehen. Kinder haben ja auch diese Leichtigkeit. Für sie ist es elementar wichtig das der ausgesuchte Lutscher rot ist. Alles andere drum herum interssiert sie nicht. Wenn ein zeppelin durch die Luft fliegt sehen sie ihm mit leuchtenden Augen hinterher. Wir erwachsenen sehen da kaum noch hin. Ist schon schade das man mit der Zeit Zwangsläufig erwachsen wird. :-(

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  21. @Hausmeister: So mein dritter Versuch zu antworten ;) ...Du sprichst mir aus dem Herzen, absolut. Mir geht jedesmal das Herz auf, wenn ich meine Nichte erlebe, wie sie durch ihre Kinderaugen die Welt entdeckt und laufen lernt. Diese Unbefangenheit, das grenzenlose Urvertrauen und die bedingungslose Liebe, die sie einem entgegenbringt, sind beeindruckend. Man kann Kindern nur wünschen, dass sie sich ein Stück davon für immer bewahren können, allerdings wissen wir Erwachsenen wie schwer das ist ;) Leider. Ich wünschte manchmal schon, ich wäre viel unbefangener...

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Ein Hinweis. Ein Blog gehört nur dem Schreiber und ist für ihn der Ort, um alles abzuladen - egal ob nichtssagend, reflektiert, unreflektiert, gewichtig, emotional, scheisse oder sonst was. Ein Blog ist auch ein bisschen als Zugang zu den Gedanken eines Menschen zu sehen, d.h. es ist ein Privileg mitlesen zu dürfen.