Dienstag, Oktober 28, 2025

dazwischen.

Vorher war die Welt noch ganz. Sie hatte Ecken und Kanten, an denen man sich festhalten konnte. Geräusche, die Sinn ergaben. Luft, die nach Alltag roch. Man ging durch die Stunden, ohne zu ahnen, dass man sie eines Tages zählen würde. Alles war beiläufig. Gespräche, Bewegungen, das eigene Atmen. Vielleicht war sogar Leichtigkeit da, dieses unbewusste Vertrauen, dass nichts Schlimmes passieren kann, solange man noch lacht. Man trat hinaus mit offenen Schultern, nicht nur weil man mutig war, sondern weil das Leben sich nicht gefährlich anfühlte. Und irgendwo zwischen Routine und Unachtsamkeit vibrierte etwas. Ein leises Unstimmigsein, kaum hörbar. Man ging darüber hinweg, weil man funktionieren wollte. Weil man glaubte, man habe Kontrolle. Und dann nur ein Klicken. Nur eine feine Verschiebung in der Atmosphäre, wie das Abfallen des Luftdrucks vor einem Gewitter. Das Herz beginnt, anders zu schlagen. Der Körper spürt es zuerst. Der Verstand ist noch höflich, lächelt. Und dann ist es zu spät.

Nachher ist alles still. Aber nicht diese gute Stille, die nach Frieden klingt. Sondern die Stille, in der nichts mehr atmet. Die Welt sieht gleich aus, aber sie berührt anders. Die Luft ist dieselbe, aber sie schneidet. Geräusche sind zu laut, Licht flackert, der Alltag klirrt gegen die Haut. Man sitzt in sich wie in einem brennenden Haus, das von außen unversehrt aussieht. Der Körper? Kein Zuhause mehr. Archiv. Eine Lagerhalle für Erinnerungssplitter. Ein Ort, den man meidet, obwohl man ihn trägt. Vorher war Vertrauen ein Zustand. Nachher ist es Arbeit. Vorher war man jemand. Nachher, jemand, der alles erinnert, ohne es fühlen zu dürfen. Denn Fühlen würde bedeuten, zurückzugehen. Und es gibt keinen Rückweg. Also legt man Schichten über die Haut. Viele Schichten. Zwischen sich und die Welt. Man lacht im Supermarkt, sagt: "Mir geht’s gut", obwohl man längst nicht mehr weiß, was das heißt. Überleben macht keinen Lärm. Es steht nicht auf, es ruft nicht um Hilfe. Es sitzt still in der Ecke und hofft, dass niemand merkt, dass etwas fehlt. Und an guten Tagen? An guten Tagen fühlt es sich fast an wie Leben. Aber nur fast.

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