Montag, September 08, 2025

frost.

Es gibt Tage, da fühlt sich Verantwortung an wie eine alte, vertraute, viel zu schwere Jacke. Sie zieht sie morgens an, weil sie nicht weiß, wie sie ohne sie das Haus verlassen soll. Man gewöhnt sich an das Gewicht, bis man den Unterschied kaum noch spürt. Nur nachts, wenn alles leise wird und niemand hinsieht. Die Luft ist kühl. Draußen schläft die Stadt, drinnen tobt das Denken. Die Gedanken kreisen im Raum, bodenlos und ohne Namen. Es wäre so leicht, einfach zu verschwinden. Aber da ist jemand, für den man bleibt. Ein Herz, das nicht nur das eigene ist. Das Leben ist ein geputztes Glas, randvoll mit Pflichten, feine Risse, die niemand sieht. Sie übt das Schweigen, lächelt sich durch alle Fragen, hält alles zusammen, hält alles aus. Manchmal glaubt sie, der Frost im Herzen sei das Einzige, was sie schützt. Sie zählt die Atemzüge, einen nach dem anderen, leise, zäh. Man nennt das wohl Stärke. Sie nennt es Überwintern. Vielleicht ist der größte Mut, zu bleiben, zu atmen, zu warten, bis die Tür irgendwann wieder zufällt und die Kälte langsam auszieht.

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