Dienstag, August 05, 2025

herzlinie.

Als würde man einmal kurz oben auf die Balustrade klettern, während es links und rechts ziemlich weit runter geht. Manchmal hast Du keine Seile, keinen Gurt, manchmal legst Du die Schuhe ab und damit auch die Bänder, die Gebundenheit, das, was zieht, wenn sich einer von beiden bewegt. Manchmal lässt man den Faden liegen, weil er nicht reicht. Weil er nicht reichen würde für die Schritte, die man gehen muss, und man weiß, dass es immer ein schlimmes Geräusch macht, wenn etwas reißt, weil man so sehr zieht, dass es nicht mehr geht ohne Materialbruch zu erleiden, ohne zu splittern. Man könnte das wagen, den Kraftakt, man könnte dann mit einem ausgefransten Stück Faden weitergehen und gucken und dieses Stück Faden als Alibi benutzen, als Ausrede und als blöden Geist, aber am Ende umarmt man auch dann nur ein Kissen.

Den Faden liegen lassen, bevor er kaputt geht. Sich merken, wo und nach einer Zeit schauen, ob er noch da ist oder ob Witterung schneller war und ihn angefressen hat. Gehen und sich dann erst einmal nicht mehr umdrehen, auch wenn es ein komisches Gefühl ist. Weil Tasche und Faust und Nacken und der Fußraum im Bett so leer sind und man jetzt die Fingernägel in der Handfläche spürt, weil sie jetzt die Lebenslinie berühren seit langer Zeit mal wieder, und die Herzlinie, nur die eigenen Finger in der eigenen Hand. Die Zimmermänner dürfen sich auch nicht umdrehen am Anfang, wenn sie auf Wanderschaft gehen und ihren Heimatort verlassen, man läuft dann eben geradeaus und weiß gar nicht, ob einem nachgeschaut wird, ob da noch jemand steht, weil wenn man sich umdreht und dann ist niemand mehr dort, wird es schwierig, nicht das Gleichgewicht zu verlieren.

Als würde man sich einmal kurz oben auf die Balustrade stellen jetzt, während der Blick vor einem ziemlich weit ist und man gar nicht weiß, wo man anfangen soll hinzusehen, weil sich plötzlich alles bewegt vor einem und in einem. Mitunter wird einem ein bisschen schummerig, weil das lange nicht so war, ganz ohne Geländer und Ränder und Rahmen und in jede Richtung möglich. Wie man sich selbst erst einmal neu justieren muss, Einstellungen vornehmen, gucken, wie man jetzt funktioniert, wie man am Besten auch hier oben auf einem Bein steht ohne umzufallen. Sich einen Schirm kaufen, einen kleinen nur, aber einen Schirm und dann vielleicht hin und wieder für jemanden gehalten werden, der vom Zirkus kommt. Ach meine Güte, wen kümmert das? Das ist keine Choreographie hier oben. Das ist alles andere als ausgedacht, das ist alles, was ich habe.

Und irgendwo im Rücken liegen Fäden herum, ich habe mir eine Karte gemalt, die ist in der Tasche, dort ist es nicht leer, dort kommen bald noch ein paar Kastanien hinzu. Und der Rest ist Orientierung im Raum. Vögel spüren die Luftkräfte an den Federn, weißt Du, und wir, wir haben nur unsere Haut. Deswegen muss man sich in den Wind stellen, oben, ganz weit nach oben direkt hinein.