Sonntag, Dezember 21, 2025

grenzen.

Ich habe lange gedacht, Grenzen wären etwas, das man nur braucht, wenn man sich schützen muss. Ein Notfallmechanismus, sozusagen. Heute weiß ich, sie sind der Rahmen, in dem ich überhaupt erst existieren kann. Keine Abwehr, einfach die Struktur, die mich zusammenhält. Grenzen haben sich bei mir nicht theoretisch entwickelt, sondern praktisch. Sie sind das Ergebnis von Momenten, in denen ich mich verloren habe, weil ich zu lange viel zu viel gegeben habe. Ich war offen, zugänglich, aufnehmend bis ich irgendwann gemerkt habe, dass Offenheit ohne Filter keine Stärke ist, sondern Selbstaufgabe.

Ich habe gelernt, dass Grenzen nichts mit Distanz zu tun haben. Sie sind kein Nein zur Welt, sondern ein Ja zu mir. Sie sind nicht das Ende von Verbindung, sondern ihre Voraussetzung. Denn ohne Grenze weiß niemand, wo Nähe endet und Übergriff beginnt. Menschen verwechseln Grenzen oft mit Härte. Besonders dann, wenn man sie ruhig zieht. Wenn man nicht mehr diskutiert, nicht mehr erklärt, nicht mehr rechtfertigt. Aber das ist kein Mangel an Empathie. Es ist Klarheit. Ich habe keine Lust mehr, meine Energie an Stellen zu verschwenden, die mich leer machen.

Grenzen sind kein Luxus für sensible Seelen, sie sind Überlebensstrategie in einer Welt, die Dich permanent dazu einlädt, Dich zu überfordern. Sie helfen mir, zu unterscheiden, was wirklich meins ist und was Projektion, Manipulation oder schlicht die Bedürftigkeit anderer. Ich habe verstanden, dass mein System - Körper, Psyche, Intuition - ziemlich genau weiß, wann etwas zu nah kommt. Früher habe ich das übergangen. Heute nehme ich dieses Signal sehr ernst. Das kleine innere Ziehen, die Müdigkeit nach einem Gespräch, der Moment, in dem ich merke, dass mein Atem flacher wird. All das sind Grenzen in feiner Sprache.

Boundary Empowerment klingt so groß, fast modisch und inflationär, aber im Kern bedeutet es etwas sehr Stilles. Ich bestimme, was ich halten kann und wann ich loslasse. Ich darf Nein sagen, ohne Schuld. Ich darf mir selbst näher sein als anderen, ohne egoistisch zu sein. Manchmal stoßen Menschen an meine Grenzen und verstehen sie als Ablehnung. Das ist okay. Ich bin nicht dafür verantwortlich, ob jemand mein Nein mag. Ich bin nur dafür verantwortlich, dass ich es ausspreche. Und jedes Mal, wenn ich das tue, wird mein System ruhiger, stabiler, vertrauensvoller. Ich habe aufgehört, mich für meine Grenzen zu entschuldigen. Sie sind kein Zeichen von Schwäche, sondern von Bewusstsein. Ich brauche sie, um zu funktionieren, um zu fühlen, um echt zu bleiben. Ohne sie würde ich mich selbst in anderen verlieren und das ist ein Preis, den ich nicht mehr bereit bin zu bezahlen.

Grenzen blockieren nicht. Sie sortieren.

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