Freitag, Dezember 26, 2025

ein Jahr.

Manchmal holt mich der letzte Winter ein. Ich sehe plötzlich wieder diesen Flur vor mir, das Pflegeheim, in das meine Oma kurz vor Weihnachten gezogen war. Der Geruch nach Desinfektion, die zu warmen und kleinen Räume. Die Stille, in der jeder Ton wie ein Echo klang. Sie saß da, kleiner als ich sie in Erinnerung hatte, aber temporär mit derselben Kraft in den Augen, mit der sie mich mein Leben lang angesehen hat. Ihre kleinen Hände, die meine festgehalten haben, als hätte sie Angst, ich würde gleich wieder verschwinden. Sie hat mich angestrahlt und sich so sehr gefreut, uns zu sehen. Sie war so dankbar über jeden Moment, den wir hatten, und ich war so überfordert von der Endlichkeit, die plötzlich überall hing. Ich weiß nicht mehr, wie oft ich sie gedrückt habe. Sehr sehr oft.

Als ich mich verabschiedete, hat sie meine Hand festgehalten, als würde sie mich nicht mehr loslassen wollen. Und ich weiß noch, wie mich dieser Griff innerlich völlig zerlegt hat. Wie viel Liebe da drin lag. Wie viel Angst. Wie viel Abschied, den keiner von uns aussprechen wollte. Am Abend habe ich mich hingesetzt und einen Brief geschrieben. Und dabei geweint. Es floss nur so aufs Papier. Und ich weiß noch, ich hatte dieses Gefühl, dieses stille, unlogische Wissen, dass er jemand ist, den ich ihr gern vorgestellt hätte. Von dem ich ihr erzählen wollte. Ich glaube, ich habe geschrieben, dass er sie mögen würde. Sie hätte gesehen, was ich gerade erst begann zu ahnen. Und ich habe geweint, weil mich dieser Tag ausgelaugt hat und gleichzeitig so voll gemacht hat mit allem, was man nicht in Worte bekommt, ohne dass sie wehtun.

Ein paar Tage später war sie tot. Einfach so. Plötzlich. Ohne dass ich ihr erzählen konnte, was in meinem Leben gerade passiert. Ohne dass ich von ihm erzählen konnte. Sie hat immer im Spass gesagt, „wenn der Richtige kommt und Du doch mal heiratest, dann werde ich Dich übergeben.“ Ein Satz, den man sagt, weil man denkt, man hat ewig Zeit. Ich war zu langsam. Und das werde ich für immer bedauern. Wirklich immer. Eine dieser Wunden, die nicht bluten, aber trotzdem brennen. Keine Zeit mehr für Geschichten. Keine Zeit mehr für Zukunft. Ach verdammt, Du fehlst mir jeden Tag. Deine Ruhe. Dein tiefes Vertrauen in mich, dass ich das schon mache.

Und heute sitze ich hier - ein Jahr später - und er sitzt neben mir. Küsst mich, hält meine Hand und lächelt mich an. Kein Brief. Keine Distanz. Ganz im Gegenteil. Und ich denke, dass es vielleicht genau das ist, was ich ihr so gern erzählt hätte, dass da jemand ist, der mich hält. Das hätte sie so richtig doll gefreut und glücklich gemacht. Ach verdammt. Kennt ihr das? Zu spüren, wie voll das eigene Herz ist und gleichzeitig ist da so eine Traurigkeit. Beides im selben Moment. 

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