Freitag, Juli 04, 2025

0,1 Prozent.

Ich kann aufgeben, resignieren. Den Schalter umlegen, nichts mehr spüren, still sein. Mich einrollen ins Vertraute, abstumpfen, verlaufen. Oder ich lasse es zu. Das Zittern. Das Fühlen. Das Wieder-Aufmachen. Ich kann mich verstecken hinter Vernunft, Chancen vorbeiziehen lassen wie verspätete Züge, und innerlich Beifall klatschen für das Verpassen. Kann tanzend durch die Nacht stolpern, betäubt, ohne zu wissen, ob ich überhaupt tanze oder nur falle. Wenn alles zu viel wird, kann ich auch anders: Den Riegel vorschieben. Den Lärm sortieren. Die Gurkentruppe streicheln und die Papierberge neu ordnen, als wäre das Leben eine Excel-Tabelle mit Sinnspalte. Oder ich kann unvernünftig sein. Und an meinen Träumen festhalten, weil genau das vernünftig ist.

Ich kann Dich küssen, obwohl Deine Lippen mir Angst machen. Vor dem Verlieben und dem was darauf folgen mag. Kann Dir erzählen von meinen Träumen und Dir sagen, dass Träume dafür da sind um sie wahr zu machen. Kann realisieren, dass es sich alleine gar nicht mal so schön lebt auf Dauer und Dich hineinlassen in das, was ich mein Leben nenne. Kann Dir zuhören, wie Du meine Talente lobst, wie Du über meine Witze lachst und die Geschichten meines Lebens, die ab und an nach einem wirklich schlechten Independent Film klingen, aber dennoch wahr sind, feierst. Kann zuhören, wenn Du mir von Dir erzählst, Deiner Leidenschaft, Deinen verdammten Ängsten, die meinen so ähnlich sind. Und wenn Du bleibst, kann ich vielleicht aufhören, gegen mich selbst zu kämpfen.

Und wenn Du meine Wunden küsst und meinen Bauch, könnte ich heulen vor Glück und Panik und Gefühlen und Angst, vor diesem Jetzt, das so viel will. Aber vielleicht kann ich es auch einfach zulassen. Die Panik beiseite schieben, wie einen zu engen Mantel. Und wenn ich aufwache, eingekuschelt in Deinen Armen, kann ich vielleicht endlich wieder sehen, was wichtig ist im Leben. Dass es viel mehr ums Leben geht, um das am Leben sein, als um die Panik, die Niederlagen und das Aushalten. Wer hätte gedacht, dass 0,1 % reichen, um alles zu verändern und zwei Leben einmal komplett auf den Kopf zu stellen?

Und wenn Du bleibst, kann ich aufhören, gegen mich selbst zu kämpfen.

Donnerstag, Juni 26, 2025

schubladen.

Manchmal schlägt das Leben einen Weg ein, den man nie gehen wollte. Kann sich ein Leben in nur einer Sekunde ändern? Aber ja. Alles dreht sich um. Aus oben wird unten. Aus weiß wird schwarz. Aus Tag wird Nacht. Für immer? Nein. Aber für sehr sehr lange.

Seit einem Jahr bin ich betäubt. Ich kann nicht denken. Nicht schlafen. Nicht essen. Das Atmen ist schwer. Die Welt ist verschwommen. Ich will weg von hier, aber ich will auch hier bleiben. Wenn ich 2 Meter über Dir knie, ist es am schlimmsten. Auf diesem Fleckchen Erde gibt es keine Zeit. Nur Schmerz. Trauer. Und Wut. Ganz schön viele Emotionen, dafür, dass ich überhaupt nichts fühle. Aber dafür habe ich eine Schublade. Alles, was mir von Dir geblieben ist, ist dort gelandet. Alle Gefühle. Alle Erinnerungen. Dass sie zugeschlossen und ich den Schlüssel verloren habe, ist mir egal. Die Schublade war meine einzige Chance. Ich lebe jetzt das Leben einer Anderen. Weil ich nicht mehr bin, wer ich war. Weil Du weg bist. Weil sich die Realität wie ein Traum anfühlt. Ich lebe einfach noch ein bisschen weiter, denn irgendwann, da darf ich bestimmt aufwachen. Dann bin ich wieder ich. Und Du bist wieder da. Und jemand sagt mir "War nur ein Irrtum. Ein schlechter Traum."

Das genau das nicht passieren wird, ist mir klar und macht es noch schlimmer. Ich kann und will nicht darüber nachdenken, wie endgültig endgültig wirklich ist. Dass das auch heißt, dass ich bis zum Ende meines Lebens mit dem Ende Deines Lebens leben muss. Mein Herz zerbricht. Die Schublade rappelt.

(2010)

Mittwoch, Juni 25, 2025

statik.

Die vergangenen Jahre war es einfach. Ein kurzes Streifen der Wirklichkeit, kein Gepäck, keine Zettel an der Tür. Keine Zahnbürsten. Nähe im Zeitfenster, mit Ablaufdatum und Rückflugoption. Es war sauber. Funktional. Und vor allem: absolut kontrollierbar. Und dann steht da jemand. Ohne Ankündigung, ohne großes Kino. Kein Paukenschlag. Keine Konfettibombe. Nur dieses leise, unausgesprochene Bleiben. Und plötzlich verschiebt sich die Statik. Nichts knallt. Aber alles kippt ganz langsam. Man merkt es nicht sofort. Es beginnt irgendwo zwischen den Schulterblättern zu arbeiten. Auf einmal ist das alte Koordinatensystem nicht mehr zuverlässig. Die Reflexe greifen ins Leere. Die Masken verrutschen. Plan B fällt aus. Es wird still. Und nah. Vielleicht zum ersten Mal wirklich nah.

Dann meldet sich das Archiv: all die alten Muster, fein säuberlich abgeheftet. Das Unzureichende. Die große Frage nach dem Reichen. Die noch größere nach dem Bleiben. Zu viel? Zu wenig? Kopierbar? Austauschbar? Der innere Projektausschuss tagt. Und findet keine Antwort. Aber da ist jemand, der nicht frontal aufläuft, sondern sich einfügt. Kein Umwerfen. Kein Eindringen. Nur Präsenz. Der nicht wegsortiert, sondern sortieren hilft. Der bleibt, nicht weil er muss, sondern weil er längst da ist. Weil etwas sagt: „Ich halte das aus. Und Dich auch.“

Kiss & Stay ist leise. Fast unscheinbar. Aber es macht was mit den Grundfesten. Vielleicht ist das der Moment, wo nicht mehr gespielt wird, sondern echt geprobt. Nicht auf Effekt, sondern auf Substanz. Der Wind draußen bleibt derselbe. Aber innen ist es schon nicht mehr ganz so zugig.

Donnerstag, Juni 19, 2025

wimpernschlag.

Sechzehn Jahre. Mehr als fünftausendachtzig Tage. Eine halbe Ewigkeit und doch manchmal nur ein Wimpernschlag. Man lernt, mit dem Verlust zu leben, sagen sie. Als wäre das ein Skill, den man sich aneignet. Wie Fahrradfahren, Kochen oder Buchhaltung. Aber manche Tage lassen sich nicht sortieren. Da kommt er zurück, mit voller Wucht. Ein Geruch, ein Lied, ein Datum auf dem Kalender. Und schon steht er wieder im Raum, als wäre er nie gegangen.

Sie sitzt im Auto, irgendwo zwischen Spülmittel kaufen und dem Gedanken, wie alt er heute wäre. Der Radiosprecher sagt irgendwas Belangloses, doch sie hört es nicht. Ihr Herz ist beschäftigt. In sich zusammengesunken. Und obwohl sie unglaublich stark ist – so sagen es alle – fühlt sie sich plötzlich wieder klein. Leer. Zerbrechlich. Und unfassbar traurig. 

Es gibt ein davor und ein danach. Es war einer der Momente, in denen sich das Gehirn nicht bereit zeigt, zu begreifen, obwohl es keinerlei Interpretationsspielraum gibt. Tot ist tot, wie man es auch dreht und wendet. Dieser Satz hat sich eingebrannt. Damals, direkt nach dem Anruf. Seitdem trägt sie ihn wie ein Mantra, das keiner sein will. Der Schmerz ist nicht mehr laut, er schreit nicht mehr mitten in der Nacht. Er ist sehr leise geworden. Aber er sitzt da. In ihr. In den Rissen, durch die das Licht nur manchmal scheint. Sechzehn Jahre. Und immer noch dieses Gefühl, dass er fehlt. Und gleichzeitig ist er da. In allem, was sie geworden ist.

Mittwoch, Juni 18, 2025

flickzeug.

Die eigene Geschichte wiegt manchmal mehr, als man in der Gegenwart denkt. Das ganze Leben besteht aus vielen Geschichten, Vergangenheiten, Gegenwarten und Zukünften. Die eigene Geschichte ist wie das Hintertor der Seele, das Dich in einen großen, dunklen Raum bringt, in dem verschmutzt in kleinen alten Gefäßen, die Du vor langer Zeit wegstellt hast, Deine Erlebnisse und Erfahrungen ruhen, die Du mehr oder weniger sauber verstaut hast. Es gibt Gute und Schlechte. Manche sind nicht zuzuordnen. Das eine Gefäß war mal länger geöffnet als das andere. Doch richtig gemein sind die, bei denen die Gummierung oben am Rand nicht ganz dicht ist, so dass Du immer mal wieder in Deinem Leben daran drehen musst, damit sie fest verschlossen bleiben. Du hast an ihnen gerüttelt, hast Dir Flickzeug gekauft, um sie zu reparieren, aber ein klein wenig Rand ist immer kaputt. 

Und so passiert es, dass wenn die Gegenwart zu viele Aufgaben bereit hält, keine Zeit bleibt, Dich um die kaputten Gefäße zu kümmern, ihre Deckel nochmal nachzuziehen und dafür zu sorgen, dass sie das Glas gut verschließen. Dann kommen sie raus, die Erlebnisse, Erinnerungen und die Gefühle, die damit verbunden sind. Sie kommen durch die Hintertür in Deine Seele und in Dein Herz. Und es ist manchmal sehr schwer mit der eigenen Geschichte umzugehen. Viele Menschen sind gute Schauspieler, die sich und der Welt vorspielen, ihre Geschichte überstanden zu haben. Und so sehr man es sich wünscht, die Geschichte ruht nicht. Manchmal haben einen die Erlebnisse nicht nur geprägt, sondern sie haben sich in Deine Haut gebrannt und die allgemein bekannten, riesigen Wunden hinterlassen. Von Zeit zu Zeit vernarben sie, um dann unerwartet wieder aufzureißen und Zeit brauchen, um wieder einigermaßen zu verheilen.

Einige Probleme, die man hat, wurden nicht durch Personen ausgelöst, die man zunächst verantwortlich machte, sondern davon welche Gefühle sie auslösen und wie das eigene ich, das wahrhaftige, reine ungeschauspielerte Ich damit umgeht. Und wenn bei diesem Ich gerade zu viele Gefäße geöffnet sind, kann es Gegenwart und Vergangenheit, Personen und Gefühle und Erfahrungen nicht mehr voneinander trennen und landet immer wieder an dem gleichen Punkt: dass man alleine da steht und versucht, die Gefühle einzufangen und wieder zu verschließen und erkennt, dass man das nur alleine kann, niemand Schuld an der Misere hat und es nur darum geht, wie Du die Dinge für Dich regelst.

Schaff den Absprung. Spring weg von der Wunde. Öffne die Gläser und lege Deinen Blick auf Neues!

Donnerstag, Juni 12, 2025

sockenlos.

Heute Nacht von meiner Oma geträumt. So real. Sockenlos. 

Und vielleicht geht es im Leben manchmal genau darum: mitten im Suchen, Hetzen und Verlieren einen Moment zu finden, der bleibt. Eine feste Umarmung, die nicht neu ist, sondern zurückkommt, aus der Erinnerung, aus dem Gefühl, aus der Liebe, die geblieben ist. Und dann spürt man, für einen ganz kurzen Augenblick: Ich bin angekommen. Nicht weil alles gut ist. Sondern weil da etwas war – oder jemand –, das getragen hat. Und irgendwie immer noch trägt, obwohl dieser Mensch längst diese Welt verlassen hat. 

Was hatte das Bild mit den fehlenden Socken zu bedeuten?

Dienstag, Juni 10, 2025

vielleicht.

Vielleicht habe ich neulich eine Zahnbürste für jemanden gekauft. Und vielleicht hat er gefragt, ob er die hier lassen kann. 

Ich wäre nicht ich, wenn ich mich nicht noch regelmäßig über die eine Zahnbürste mehr in der Schublade wundern würde, aber es fühlt sich ziemlich gut an. 

Sonntag, Juni 08, 2025

kryptonit.

Du bist wie eine Narbe. Keine rote, wulstige, die für jeden sichtbar ist. Nein, eine kleine, feine, versteckt an einer Körperstelle die meist bedeckt ist. Ein beinahe weißer Strich, der sich nur im Sommer wirklich von meiner leicht gebräunten Haut abhebt. Ein glatter Strich, ohne Risse und Fasern. Genauso wie Dein Ende. 

Eine Narbe, nur sichtbar, wenn ich Menschen ganz nah an mich heranlasse. Wenn ich meinen dicken Pullover ablege, mich ungeschickt bewege und man für einen Moment mehr Haut sieht als erwünscht. Auf einmal wird sie erblickt, die Narbe die ich so gut zu verbergen versuche. Dann kommen Fragen dazu. Und ich möchte so viel erzählen, doch danach bereue ich es stets. Ich blicke in betrübte, beschämte Gesichter. Bei belanglosen Fragen erwartet man nie eine traurige Antwort. Du warst mein Leben, meine Liebe, aber auch mein Kryptonit.

Du bist wie eine Narbe. Manchmal juckst Du, ganz aus dem Nichts und mein kratzen lindert es nicht. Mich erfasst dann eine tiefe Trauer, die mir wortwörtlich die Luft nimmt. Doch manchmal bist Du auch unsichtbar, auch für mich. Die Welt dreht sich weiter. Das zu verstehen kostete mich verdammt viele Stunden, viele Flaschen Weißwein und ein sehr langes Zwiegespräch mit - falls es ihn denn gibt - einem Gott.

So ist das mit Narben. Sie bleiben auf der Haut zurück als Reaktion auf etwas Schmerzhaftes, etwas Einschneidendes. Genau das ist mit meinem Herzen passiert. In dem Moment, als ich den Anruf entgegennahm. Genau in diesem Moment ist der Platz in meinem Herzen, der für Dich reserviert war, explodiert und hat mein Herz zerfetzt.

Der menschliche Körper ist ein unglaublich effizient arbeitendes Konstrukt, ich hätte nie gedacht mich davon zu erholen. Wir überstehen viel mehr, als wir denken. Seither trage ich Dich als Narbe mit mir herum.

Freitag, Juni 06, 2025

irgendwann.

Du sagst, Du liebst mich. Nicht nur heute, sagst Du und lächelst. Du meinst, Du könntest mich glücklich machen, dass ich Deinetwegen nie wieder traurige Texte schreiben müsste. Manchmal, sagst Du, wartet man so sehr auf etwas, dass man all die anderen offenen Türen übersieht. Und Du findest, ich hätte genug gewartet. Dass sich Türen manchmal melden müssten. Laut und deutlich. Damit man sie nicht übersieht. Und jetzt stehst Du vor mir, laut und deutlich – und lächelst. Während ich still auf den Boden starre, mit dem Fuß kleine Kiesel hin und her rolle, als wäre das das Einzige, was gerade zählt.

„Liebst Du mich auch, wenn ich nicht gut gelaunt bin?“, frage ich, ohne den Kopf zu heben. „Wenn ich Dich niemals ganz an mich heranlasse, Dich wegstoße, an Dir reiße, vor Dir fliehe. Wenn ich kalt bin, mich tagelang zurückziehe, nicht auf Deine Anrufe reagiere, Deine Nachrichten ignoriere. Würdest Du mich dann immer noch lieben? Wenn ich Deine Nähe nicht aushalten kann… und Dir nie versprechen könnte, dass Du der Einzige für mich bist – wärst Du dann trotzdem noch da?“

Ich sehe Dich nicht an, aber ich weiß, dass Du gerade Deine Finger gegeneinander drückst. Dass Du auf Deiner Unterlippe kaust. Dass Du Dir eine Haarsträhne hinters Ohr schiebst. „Man kann sich nicht aussuchen, wen man liebt, oder?“, sagst Du. Ich höre das Kratzen in Deiner Stimme. Spüre das Stechen in meiner Brust. Die Worte bleiben mir im Hals stecken. Ich schüttle nur den Kopf, ziehe mit dem Fuß eine Spur in den Kies. „Dann werde ich Dich wohl weiterhin lieben, so wie Du ihn immer noch liebst. Auch wenn mich das traurig macht“, sagst Du. Und lächelst wieder.

Ich höre, wie Du aufstehst. Will nicht hochsehen. Nicht nach dem Kratzen in Deiner Stimme. Bis ich Deine Hand auf meiner Schulter spüre. „Irgendwann sieht man die neuen Türen“, flüsterst Du. Streichst mir eine Strähne hinters Ohr, drückst mich kurz an Dich, küsst mich auf die Stirn und gehst zurück zu den anderen. „Irgendwann sieht man die neuen Türen… und schließt die alten ab.“

Montag, Juni 02, 2025

betrunken.

Ich will mit Dir betrunken durch die Straßen laufen. Nachts, lachend, glücklich, gedankenlos und frei. Huckepack auf Deinem Rücken. Du und ich. Arm in Arm. Ich will bei Dir sein, wenn Du schläfst, wenn Du am nächsten Morgen erwachst und mich lächelnd ansiehst. Dich küssen. Will Dir nahe sein, jeden Augenblick genießen. Ich will, dass Du meine Hand hältst, wenn die Welt zu laut ist und sie nie loslässt. Will mich verlieren in Momenten, in denen nichts zählt außer Deinem Blick.

Montag, Mai 26, 2025

bleiben.

Heute Morgen auf dem Weg zur Arbeit habe ich über "Schmerz" nachgedacht. Über den, den wir im Laufe unseres Lebens erleben. In Wellen, in Stichen, in leisen Momenten. Schmerz, der sich manchmal in den Alltag schleicht, manchmal laut da ist, einen völlig umhaut und manchmal einfach nur sehr schwer auf der Brust sitzt, ohne sich erklären zu müssen. Ich habe im Laufe der Jahre erst verstanden, wie tief Schmerz sitzen und wie vielschichtig er sein kann. 

Ich erinnere mich an Momente, in denen ich temporär nicht mehr fähig war zu atmen und mich einfach nur auf die Straße legen und sterben wollte. Ich wollte das es aufhört. Ich wollte und konnte das nicht fühlen. Mich nicht damit auseinandersetzen. Ich musste erst lernen, Schmerz überhaupt zuzulassen. Lange Zeit war funktionieren einfacher. Sich ablenken, unermüdlich arbeiten, weitermachen, alles unter Kontrolle behalten. Aber irgendwann reicht das nicht mehr. Irgendwann meldet sich das, was wir nicht fühlen wollten. Und wenn es kommt, dann nimmt es mir manchmal die Luft. Es sitzt schwer auf meinen Schultern. Und trotzdem – es gehört zu mir. Zu dem, was war. Zu dem, was fehlt.

Mit dem Tod meiner Oma habe ich eine neue Qualität des Schmerzes kennengelernt, die ich noch nicht kannte und ich spüre diesen Schmerz besonders deutlich. Wenn eine Konstante Deines Lebens stirbt, klafft dort ein riesiges Loch. Es gibt so viele Dinge, die sich gerade verändern, so viele Umbrüche, so viel Unsicherheit – und sie fehlt. Nicht, weil sie immer die perfekten Antworten hatte. Sondern weil sie mir diese ruhige, fast unerschütterliche Form von Vertrauen gegeben hat, die ich selbst manchmal nicht aufbringen kann. Sie war da. Immer. Und ihr Blick hat mir gesagt: „Kind, du schaffst das. Du musst nur weitergehen!“ Wie oft hat Sie meine Hand dabei gehalten. Letzte Woche hat mich jemand aus meiner Vergangenheit gefragt, was in der Zwischenzeit passiert ist und ich habe es zum ersten Mal seit Langem ausgesprochen: Sie ist tot. Der Satz kam, und mit ihm eine Welle. Der Schmerz war plötzlich da – groß, dicht, überrollend.

Ich übe mich darin, nicht mehr wegzulaufen oder auszuweichen. Den Schmerz in meinem Leben nicht mehr zu übergehen, nicht kleinzureden. Sondern ihn da sein zu lassen. Als Teil von mir. Als Teil dieser Geschichte, die mich trägt, auch wenn sie manchmal weh tut. Vielleicht ist genau das der mutigste Schritt: einfach dazubleiben. Das auszuhalten. Im Gefühl. In der Verbindung. Und auch in der Erinnerung. Das ist das, was Du mir beigebracht und vorgelebt hast. 

Dienstag, Mai 20, 2025

raum.

Zwei Menschen betreten einen Raum. Es gibt kein bestimmtes Ziel, keinen Vertrag, keine Bedienungsanleitung und keinen Notausgang. Ich bringe Angst mit, er Vertrauen. Ich werfe mit Fragen, er fängt sie mit offenen Händen. Ich teste Grenzen, er nennt es Herausforderung. Er balzt, ich kontere – manchmal einfach mit einem Augenrollen. Dann ist da diese Art von Stille, die Platz schafft. Raum für Nähe, die kein Tempolimit kennt. Und irgendwo dazwischen erzählen wir uns die Dinge, die sonst keiner sehen darf. Die guten, die kaputten und die mit der Aufschrift „Vorsicht, kann bei Berührung explodieren“. Und es passiert etwas, das sich nicht benennen lässt, aber seltsam richtig anfühlt. Leicht und im Flow. 

Es fühlt sich an wie ein System, das sich selbst austariert und gefunden hat. Wie ein Spiel, das keiner gewinnen muss, weil beide freiwillig mitspielen und bleiben. Ohne Agenda. Ohne Druck. Nur zwei Menschen, die sich gegenseitig aufmachen. Wort für Wort, Bild für Bild, Kuss für Kuss, Hemdknopf für Hemdknopf.