Freitag, Oktober 10, 2025

schweigen.

Manche Menschen gehen nicht weg, sie verschieben sich. Ein Stück zur Seite, ein paar Stunden, einen Tag. Gerade so weit, dass man sie nicht mehr greifen kann. Sie nennen es Raum, Zeit zur Selbstregulation. Distanz als eine Form von Selbstfürsorge. Und während sie das sagen, prüfen sie, ob Du bleibst, ob Du wartest, ob Du das Aushalten kannst. Es ist kein Bruch, nur ein leises Entziehen bis die Wut sich legt, fast unscheinbar, aber Du spürst es im ganzen Körper. Manchmal ist Schweigen lauter als jeder Streit.

Donnerstag, Oktober 09, 2025

häutung.

Es war, als hätte ich etwas in mir jahrzehntelang eingesperrt. Fest verschnürt, tief vergraben, gut bewacht. Abgekapselt. Weggeschnitten. Und dann, neulich Abends, saß ich da mit einer meiner engsten Freundinnen, und plötzlich war da kein Halten mehr. Die Worte kamen einfach. Mit ihnen die Tränen. So viele Jahre Scham, Wut, Schmerz. Alles, was ich geglaubt hatte, längst kontrolliert zu haben, stand auf einmal im Raum. Nackt. Ungefiltert. Und zum ersten Mal war da kein Urteil. Nur Stille. Wärme. Verständnis. Schmerz. Und Tränen. Sie nahm meine Hände und weinte einfach mit. Es war, als würde ich mich häuten. Schicht für Schicht fiel etwas Altes von mir ab, etwas, das nicht mehr zu mir gehört. Ich fühlte mich wund und roh und gleichzeitig freier als je zuvor.

Vielleicht ist Heilung genau das. Nicht ein großes Verzeihen oder Vergessen, sondern dieser stille Moment, in dem man sich selbst wieder spürt und einfach anfängt hinzuschauen, was es mit einem gemacht hat und was geblieben ist. 

Mittwoch, Oktober 08, 2025

anatomie.

Das feine Vermessen von Schmerz, Zentimeter für Zentimeter. Ein Wort zu viel und irgendwo tief im Körper zuckt etwas, das längst weiß, was hier passiert. Ein stilles Wissen darum, was trifft. Nichts davon ist Zufall. Es ist das Prüfen, wie weit sich Nähe dehnen lässt, bevor sie reißt. Ein stilles Experiment mit Herzfasern. Und während der andere noch lächelt, wird im Inneren längst gezählt, wie oft man sich selbst verschlucken kann, bevor man verschwindet.

Montag, Oktober 06, 2025

richtung.

Es gibt Begegnungen, die schleichen sich wie Echo ein. Kaum hörbar, aber sie bleiben. Zwei Menschen kreisen umeinander, wie Planeten mit eigenem Orbit, angezogen und doch vorsichtig, damit nichts kollidiert. Einer wagt Nähe, der andere zieht Linien in den Sand. Nicht aus Gleichgültigkeit, sondern aus Vorsicht. Weil das, was entstehen könnte, größer wirkt als das, was man kontrollieren kann. Zwischen ihnen nichts Lautes, nur ein stetiges Knistern, das nie ganz verschwindet. Man nennt es Abstand, dabei ist es ein Tanz. Ein Vor und Zurück, ein unmerkliches Ziehen unter der Haut. Zu früh, zu spät, zu nah, zu weit. Und irgendwann, ganz leise, ohne großes Zeichen kippt die Achse. Die Bewegung hört auf, das Muster bleibt stehen. Zwei Linien, die nie füreinander gedacht schienen, zeichnen plötzlich dieselbe Richtung. Kein Knall. Kein Feuerwerk. Nur ein stilles, unausweichliches "Jetzt“.

Sonntag, Oktober 05, 2025

entscheidung.

Liebe ist kein glattes Feld. Manchmal stolpert man über Kanten, die man selbst gelegt hat. Über Gedanken, die zu laut sind, Gefühle, die zu tief greifen und Mauern, die man längst hätte einreißen können. Es gibt Tage, da bin ich Sturm statt Wind, eine Welle, die zu hoch schlägt, ein Feuer, das zu nah kommt. Und trotzdem bleibst Du. Nicht, weil es leicht ist, sondern weil Du siehst, was bleibt, wenn der Sturm sich legt. Das ist keine Selbstverständlichkeit. Das ist Entscheidung. Jeden Tag. Und irgendwo dazwischen entsteht das, was man Liebe nennt. 

Samstag, Oktober 04, 2025

linien.

Manchmal laufen zwei Linien jahrelang nebeneinander, ohne sich zu berühren. Sie kreuzen Wege, verlieren sich aus dem Blick, ziehen ihre eigenen Kreise. Und irgendwann – viel später – merkt man, dass sie in die gleiche Richtung wollten.

Freitag, Oktober 03, 2025

hip hip hooray!

Die Untermieterin wird heute 14. In Worten: vierzehn! Keine Ahnung, wann das passiert ist. Gestern war ich doch noch schwanger und dieses Kind mit den wilden blonden Locken und der süßen Stimme lag plötzlich in meinen Armen. Ich erinnere mich, wie mir an diesem sonnigen Sonntagmorgen die Fruchtblase sprang und diese kleine Rakete es sich in letzter Sekunde anders überlegte, nochmal falsch herum drehte - und dann seelenruhig weiterschlief, anstatt beim Auszug aktiv mitzuwirken. Nach über 25 Stunden Wehen war ich kurz davor, wirklich alles hinzuschmeißen und lieber in eine Bar zu gehen und mir einfach einen Drink zu genehmigen. Dann war sie endlich da. Und ich einfach nur sehr erleichtert, dass diese Schmerzen vorbei waren.

Und jetzt? Jetzt ist sie ein Teenager. Sie nennt mich regelmäßig „Mutter“, wenn sie mich ärgern will. Benutzt neuerdings Wimperntusche, trägt bauchfreie Tops, stylt wirklich jedes Outfit und rollt die Augen, als wäre es ein Sport. Und trotzdem braucht sie noch so viel Liebe, Nähe und Rückversicherung, auch wenn sie sich manchmal schon ein bisschen zu cool dafür fühlt. Neulich in der Stadt erklärte sie mir mit ernster Miene, dass sie ab sofort meine Hand nicht mehr in der Öffentlichkeit nehmen könne, falls uns Kids aus der Schule begegnen. Meistens vergisst sie es aber schnell wieder und greift doch nach meiner Hand. Mal sehen, wie lange noch. Ich halte sie, solange ich darf.

Es ist verrückt, wenn ich sie anschaue und mich selbst in ihr sehe. Sie sieht aus wie ich in ihrem Alter – nur klüger, witziger, empathischer. Sie reift zu einer wunderbaren Persönlichkeit heran. Mein kleiner Nerd. Ich liebe unsere Gespräche, ihr Lachen, ihre Gedankengänge. Ich sehe, wie sie sich selbst findet, ihre Fähigkeiten begreift, wie sie mutiger wird, wie sie die Welt erobert. Und ich weiß, sie wird ihren Weg gehen.

Es ist schon wild, wenn ich auf den Weg zurückschaue, den wir gegangen sind die letzten Jahre. Ich habe mir so oft Sorgen gemacht, ob ich das alles allein schaffe. Ob sie heil bleibt. Ob wir heil bleiben. 7,5 Jahre nur wir zwei. Nächte voller Fragen, Tage voller Verantwortung. Und heute sehe ich uns und denke nur: „Verdammt, wir haben das richtig richtig gut gerockt.“ Wir sind so ein krasses Team. Und ja, unser Team ist ein Stück gewachsen dieses Jahr und selbst das läuft besser, als ich es mir hätte wünschen können. Es fühlt sich so natürlich an, als hätte es nie anders sein sollen. Wir sind einfach solche Glückskinder. 

Hip hip hooray, Du Rakete! 

Donnerstag, Oktober 02, 2025

momente.

Am Ende sind es nicht die großen Tage, die uns tragen. Es sind diese kleinen Augenblicke, die oft unbeachtet bleiben und doch alles ausmachen. Das gemeinsame Lachen, wenn etwas nicht so klappt, wie es soll. Ein kurzer Blick, der mehr sagt als tausend Worte. Der Moment, in dem eine Hand ganz selbstverständlich die andere findet. Das gemeinsame Abendessen bei gewöhnlichen Gesprächen, auch wenn es nur Pizza aus dem Karton ist. All das wirkt nach. Nicht, weil es besonders spektakulär ist, sondern weil es authentisch ist. Weil es zeigt, dass Nähe nicht in Feuerwerken liegt, sondern im Miteinander, das sich selbstverständlich und so normal anfühlt. Ein Gefühl von Zuhause entsteht nicht in Pracht, sondern in diesen scheinbar unscheinbaren Momenten, in denen man spürt: ich bin gesehen, ich bin gemeint, ich gehöre dazu.

projektionsfläche.

Ungerecht behandelt zu werden, tut weh. Vorwürfe schneiden am tiefsten, wenn man weiß, dass man loyal ist und das immer wieder gezeigt hat.

Es passiert schnell, dass man nicht mehr als Mensch gesehen wird, sondern als Projektionsfläche. Dann zählen nicht mehr die eigenen Worte oder Handlungen, sondern nur noch die Schatten der anderen. Unsicherheiten, Ängste, alte Geschichten. All das landet plötzlich bei einem, obwohl es gar nicht das Eigene ist. 

Samstag, September 27, 2025

protokoll.

Ich lag da. Und alles wurde stumm. Nicht leise, stumm. Kein Schrei, kein Flattern, nur das helle Summen hinter der Stirn. Das Flimmern in den Ohren, wenn Blut zu laut wird. Die Welt lief weiter. Ich nicht. Klebte zwischen zwei Atemzügen fest, die nichts mehr wollten. Hände ohne Auftrag. Haut ohne Grenze. Ich war nicht dabei. Nur noch ein Blick von außen auf etwas, das mal Ich war. 

Stillstand schmeckt nach Metall. Nach Raum ohne Wände. Kein Ja. Kein Ich. Kein Davor. Nur dieses Ausgeliehen-Sein. Entkoppelt. Entrückt. Der Körper wurde abgelegt, der Wille mit ihm. Die Zeit lief aus. Später dann: Protokoll. Lächeln wie ein Reflex. Schritte auf bekanntem Boden mit unbekannten Knochen. Haut wie Theaterstoff. Bewegungen auswendig gelernt. Der Schlaf meidet mich, wenn es dunkel wird. Weil der Körper mehr erinnert als der Kopf erlaubt. Dann flackert es unter dem Brustbein. Lautlos. Rückwärts. Ich tue dann, was man eben tut, zusammensetzen, richten, weitermachen. Man sieht es nicht. Man soll es nicht.

Manchmal, wenn es still wird, zu still, kriecht sie zurück die Ohnmacht. Ohne Bild, ohne Ton, aber mit Gewicht. Sie hockt im Zwerchfell, zieht die Schultern tief. Und dann weiß ich wieder, wie sich nichts anfühlt. Wie alles kippt, wenn niemand hält. Nur kurz.

Freitag, September 26, 2025

mut.

Mut ist selten laut. Kein Instagram-Motto. Mut ist nicht das große Auftreten, nicht die Show, nicht die große Geste. Mut zeigt sich im Kleinen. Wenn man bleibt, obwohl man weglaufen möchte. Wenn man ausspricht, was man eigentlich am liebsten verschweigen will. Wenn man die eigenen Schatten ansieht, anstatt sie noch eine Schublade tiefer zu drücken.

Mut ist auch, nicht immer stark sein zu müssen. Schwach zu wirken, zu stolpern, weinen, Fragen zu stellen, ohne Antworten zu haben. Das auszuhalten, braucht mehr Kraft als jeder Panzer. Mut heißt, die Kontrolle fallen zu lassen. Einen Schritt zu machen, ohne Netz, ohne Garantie. Nicht zu wissen, ob etwas gut geht, und es trotzdem zu wagen. In der Liebe. Im Job. Im Leben. Am Ende ist Mut kein Kampf gegen die Angst, sondern der Entschluss, trotz der Angst zu handeln.

Donnerstag, September 25, 2025

schritte.

Sie zählt Schritte, nicht Silben. Worte haben ihren Kurs verspielt – zu oft zu viel versprochen, zu selten eingelöst. Sie hört zu, ja, aber was hängen bleibt, sind die Lücken dazwischen. Die Pausen. Die Stille danach. Sie schaut nicht mehr darauf, was jemand sagt. Sondern wohin er sich bewegt, wenn es unbequem wird. Sie hat gelernt, dass man Nähe nicht sagen kann. Man muss sie gehen. Dass echte Absichten keine großen Erklärungen brauchen, sondern kleine Entscheidungen, die man sieht. Denn Sätze wiegen nichts, wenn sie keinen Boden unter den Füßen haben.