Donnerstag, August 20, 2009

ad astra

Ein Jahr. Zwölf Monate. 365 Tage. 8760 Stunden. 525600 Minuten. 31536000 Sekunden - in denen sich die Erde unaufhörlich weiterdrehte. Das Leben einfach weiter ging und mir so unglaublich falsch vorkam.

Der Himmel ist strahlendblau. Die Vögel zwitschern. Die Sonne scheint, die Blätter schillern in bunten Farben und bewegen sich ganz seicht mit dem Luftzug. Die Windspiele tanzen und es klingen leise feine metallische Töne. Manchmal sitze ich stundenlang unter diesem großen Baum auf der Bank, schaue abwechselnd in den Himmel & auf die kleinen liebevoll geschmückten Gräber und atme tief die Luft ein - so wie heute. Dieser Ort ist so wunderbar grün, still und beruhigend.

Es zieht mich oft an Dein Grab.

Jeden Morgen, wenn ich aufwachte, hatte ich einen kurzen Moment lang ein Gefühl der Normalität, bis die Realität mir hammerhart ins Gesicht schlug und mir bewusst wurde, dass das alles kein böser Traum gewesen war. Dann kehrte der stumpfe Schmerz zurück. Ich kochte 'zig mal hintereinander die Lieblingskartoffelsuppe, lieh sämtliche DVDs aus, ging einkaufen, wusch Wäsche, besorgte Bücher, telefonierte, erledigte den Papierkram, hörte zu, vermittelte, machte Mut, versuchte Antworten zu geben und war einfach nur da. Ausnahmezustand. Die Verzweiflung war ihnen ins Gesicht geschrieben - sie gingen durch die Hölle - die Augen unendlich leer, die Haut fahl und der Körper kraftlos. Es heisst, wenn eine Tür sich schließt, würde sich zumindest ein Fenster öffnen. Es fühlte sich lange an, als würde sich nicht mal eine verdammte Dachluke öffnen. Man versucht eine Erklärung für den Tod zu finden, aber in diesem Fall gibt es keine.

Du solltest jetzt an der Hand laufen. Heimlich Blumenerde essen. Uns die Welt mit Deinen Kinderaugen zeigen. Sie erobern! LEBEN! Das war der Plan. So ist es normalerweise.

Sie war vollkommen. Wunderschön - mit ihren Pausbacken. Sie sah aus als würde sie schlafen. Und sie roch so gut. Sie war perfekt. Nur atmete sie nicht. Ihre winzigen schlanken Hände waren ganz kalt. Es war so unheimlich still im Kreissaal, dass es in meinen Ohren schmerzte. Die Bilder bekomme ich nicht aus meinem Kopf. Ihren Duft hatte ich noch Wochen in der Nase. Am liebsten hätte ich getobt & geschrien, dass die Ärzte doch irgend etwas tun können müssen - sie versucht wiederzubeleben. NICHTS. Es zerriss mich, sie nur ein einziges Mal berühren zu dürfen. Mir blieb die Luft weg, als ich diesen fürchterlich kleinen, weißen Sarg in der Kirche stehen sah. Ein Kind verkörpert Leben, Zukunft, Glück und Hoffnung - stattdessen fiel man völlig unvorbereitet ins Bodenlose. Diese Endgültigkeit & Brutalität des Lebens machte ohnmächtig und hilflos.

Ich wäre für Dich gestorben, wenn Du dadurch hättest leben dürfen - ich meinem Bruderherz diesen schweren Verlust hätte ersparen können. Er ist über Nacht gereift und hat seine Unbekümmertheit verloren.

"tot“. Ich male das Wort auf ein weißes Blatt Papier, die „t“s als kleine Kreuze. Rückwärts gelesen: „tot“. Wie man es auch dreht und wendet, tot bleibt tot. Die Erde blieb nicht stehen, sie drehte sich unaufhörlich weiter. Das Leben ging weiter und mit ihm kam eine erneute Schwangerschaft. Die Anspannung auf den Zielgeraden war zum Erbrechen. Die Zeit und Klein-Mechthild helfen den Schmerz erträglicher zu machen. Ich inhaliere tief die Luft, erhebe mich von der Bank, knie mich vor das Grab, lege einen Stein darauf, rücke meine knallrote Windmühle zurecht, blicke in den Himmel, wo nachts die Sterne tanzen und denke an Dich.

11 Kommentare:

  1. "Es ist ein Augenblick, der dir das Leben nimmt..."

    Das Paradoxeste, was es gibt: Wenn Kinder sterben, Unbegreiflich...

    *Drück dich*

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  2. Einen dicken lieben Drücker.

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  3. Fühl Dich von mir auch fest gedrückt! Ich kann mir vorstellen, wie schrecklich so eine Erfahrung ist. Und es ist wirklich unbegreiflich, warum so etwas passiert.

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  4. süße,

    mir fehlen die worte. habe mir jetzt alle (hoffe ich) dazugehörigen posts durchgelesen, das bach-stück gehört und tränchen vergossen. ich drück dich ganz doll. es ist so schön, dass dein bruder nun einen kleinen hosenscheißer hat, der gesund und munter ist. auch, wenn mechthild kein ersatz sein kann und wird, so wird doch ihre schwester mit einem absolut reinen geist über euch alle wachen.
    und horch mal genau hin. die kleine mia schnauft bestimmt genauso im schlaf. ich kann mein totes hundemädchen auch schnaufen hören, wenn ich sehr traurig bin.

    ganz liebe grüße von der rachel, die auch immer da ist!

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  5. Eines Tages sehen Sie sie wieder. Dann haben wieder jede Menge Zeit füreinander...

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  6. Gell, man darf weinen, wenn man einen Post liest...

    Ich kann deinen Schmerz so gut verstehen. Auch die nachfolgenden Kinder können nie die Lücke ausfüllen, den dieser kleine Mensch gerissen hat.

    Man stellt sich vor, was wohl aus ihnen geworden wär - nur die besten Eigenschaften der anderen Kinder sieht man in diesem Kind vereint.

    Heute, nachdem das Grab weggeräumt wurde und ich den kleinen Stein in meinem Garten liegen habe, halte ich immer noch Zwiesprache und feier seine Geburtstage...

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  7. Evo, ich drück Dich.

    Kinder dürfen niemals vor ihren Eltern gehen. Leider kann ich Deinen Schmerz, vor allem aber den Deines Bruders und seiner Frau, nur zu gut nachvollziehen. Ich wünschte mir, es wäre nicht so. Bilder vom 14. Juni 2007 kommen wieder hoch. Nicht nur gerade jetzt. Sie sind präsent. Sie sind immer da. Und es tut so unendlich weh. Ein kleiner Trost für mich ist, dass es ihm jetzt hoffentlich viel besser geht.

    Evo, Kopf hoch ... ich drück Dich! Und ganz, ganz viel Kraft nicht nur für Deinen Bruder und Deine Schwägerin ...

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  8. Mir lief es gerade kalt den Rücken runter...dann lief ich zum Kalender...bei meiner Freundin ist es morgen genau ein Jahr her!

    Mir fehlen gerade die Worte!

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  9. Das ist einfach nur traurig!

    Es ist gut, dass es deinem Bruder und seiner Frau jetzt schon besser geht und sie sich durch ihre Kleine am Leben erfreuen können!

    *drück dich*

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  10. Ich wünschte jemand würde mal die richtigen Worte für solche Momente erfinden.

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  11. @Lilly: Das unterschreibe ich genau so... traurig, aber wahr.
    Drücker zurück

    @engelswelt: Danke...fühlt euch gedrückt in Connorshausen! ;)

    @Tiri: Danke, dass ihr da wart. Drück euch gaaanz fest und vorallem die Daumen - ich hoffe, die Nervosität & Angespanntheit weicht demnächst der puren Entspannung & Vorfreude ;)

    @rachel: Danke :) ...vorallem für den superentspannten Tag und die Ablenkung am Donnerstag.

    @Der Kaiser: Wie ich schon an anderer Stelle sagte, eine schöne Sicht der Dinge... - ich glaube fest daran.

    @Michaela: Ich weine seltenst, aber Deine Zeilen haben mir die Tränen in die Augen getrieben. Du weißt warum...Du sprichst mir aus dem Herzen und es tut mir leid, wenn ich Dich auf diese Art & Weise mit Deinem eigenen Schmerz konfrontiert habe.

    "Niemand ist tot, wenn er in der Erinnerung von anderen Menschen weiterlebt."
    Fühl Dich fest gedrückt!

    @Nili: Ich weiss gar nicht, was ich sagen soll. Ich fühl mich grad ganz fürchterlich... es macht betroffen, wenn man sieht & erahnen kann, was die "Päckchen" der Mitmenschen füllt.

    Einen dicken Drücker nach HH

    @Lauffrau: Da läuft's einem wirklich kalt den Rücken runter.
    Es war ein weiter Weg - aber ich denke, es wird immer ein bisschen besser. Ich wünsche Deiner Freundin, dass sie dasselbe Glück erleben darf.

    Drück Dich.

    @Lola: Worte sind in solchen Momenten meist machtlos...

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